Die Evangelische Michaelsbruderschaft ist eine verbindliche geistliche Gemeinschaft. Zu ihren Zielen gehört die Vertiefung des geistlichen Lebens und der Einsatz für die Erneuerung und die Einheit der Kirche. Ihr gehören Laien und Geistliche aus sieben verschiedenen Konfessionskirchen vor allem in Mitteleuropa an. Die Brüder kommen aus lutherischen, reformierten und unierten Kirchen, aus Freikirchen, aus der alt- bzw. christkatholischen und aus der römisch-katholischen Kirche. Der überregionale Konvent Jungbruderschaft St. Michael ist eine Gemeinschaft auf Zeit von jungen Frauen und Männern.
Die Brüder leben mit ihren Familien in ihrer Kirchengemeinde und sind in regionalen Konventen zusammengeschlossen.
Heute gibt es Brüder in Deutschland, Österreich, Ungarn, Frankreich, der Schweiz, in Polen und Island.
Schon bei ihrer Stiftung 1931 hat die Evangelische Michaelsbruderschaft Brüder aus verschiedenen Konfessionskirchen zusammengeführt. Sie ist davon überzeugt, dass die Einzelkirchen Glieder der einen Kirche Christi sind und richtet ihr Leben darauf aus, zu ihrer inneren Erneuerung beizutragen. Die gut 250 Brüder leben in allen Teilen Europas; ihr Leben ist geprägt vom regelmäßigen Gebet und vom oft gefeierten Abendmahl („Evangelische Messe“), von Bibellesung und Meditation. Von Anfang an ist die Bruderschaft ökumenisch ausgerichtet. So ist „Kirche sein heute“ unter anderem durch die Auseinandersetzung mit dem schon 1955 veröffentlichten ökumenischen Grundlagenpapier „Credo ecclesiam“ entstanden.
Als die Evangelische Michaelsbruderschaft 1931 in Marburg gestiftet wurde, waren bereits einige Jahre intensiver Arbeit vorausgegangen. Die Gründer kamen aus der Jugend- und Singbewegung. Dort waren sie – nach den Entfremdungserfahrungen der Industriegesellschaft und des Ersten Weltkriegs – mit der Frage konfrontiert, wie eine Kirche aussehen müsse, die innerlich und äußerlich glaubwürdig ist. Auf den sog. Berneuchener Konferenzen (in Berneuchen/Neumark, heute Barnówko/Polen) ab 1923 versuchten Männer und Frauen unterschiedlicher Prägung gemeinsam Antworten zu finden.
Sie kamen zu der Überzeugung: Die Erneuerung der Kirche beginnt nicht durch ein theologisches Programm, sondern im Leben des einzelnen Christen. Das Christsein soll sein ganzes Leben innerlich und äußerlich durchdringen und sein Tun in seinem Lebensumfeld und in seiner Kirchengemeinde vor Ort prägen. Die Bruderschaft ist dafür Rückhalt, tragende Gemeinschaft und Schule. Wer in die Bruderschaft aufgenommen wird, bindet sich an die Ordnung der Bruderschaft zum Dienst an der Kirche.
Die Anliegen, die sich damals konkretisierten, bestimmen bis heute die Arbeit der EMB:
89 Jahre Evangelische Michaelsbruderschaft
Eine Gemeinschaft zum Dienst an der Kirche
Seit acht Jahrzehnten ist die Evangelische Michaelsbruderschaft ein Teil der evangelischen Landschaft. In dieser Zeit hat sie viel bewegt, viel angestoßen und auch Anstoß erregt. Die Michaelsbruderschaft ist ein Versuch, christliche Kirche beispielhaft zu verwirklichen – als Bruderschaft. Michaelsbrüder wollen der Kirche dienen und sie erneuern, indem sie diese Erneuerung bei sich selbst beginnen lassen. Das soll hineinwirken in die Kirchengemeinden, in die Landeskirchen und die ganze Kirche Jesu Christi.
Viele kennen die Evangelische Michaelsbruderschaft (EMB) aus ihren Veröffentlichungen, vor allem aus ihren liturgischen Arbeiten. Darin spiegelt sich aber nur ein kleiner, wenn auch wichtiger Teil von dem, was die Bruderschaft ausmacht. Das gemeinschaftliche Leben und die Arbeit der Brüder sind vielseitig. Am besten lernt man sie in der persönlichen Begegnung kennen.
Die EMB steht für eine kirchliche, ganzheitliche, verbindliche christliche Spiritualität. Diese Spiritualität ist in einer bestimmten geschichtlichen Situation entstanden. Sie hat den Anspruch auch heute, in einer veränderten kirchlichen und gesellschaftlichen Lage, eine Antwort auf die Probleme der Kirche zu sein.
Berneuchen: gestaltetes Christsein
Aus dieser Sorge heraus traf sich im Sommer 1923 eine Gruppe von Männern und Frauen zu einer Konferenz in dem Rittergut Berneuchen/Neumark (heute Barnówko/Polen). Es ging ihnen um die Frage, wie die Kirche aussehen müsse, um für die Zeitgenossen innerlich und äußerlich überzeugend und glaubwürdig zu sein. Die Gesprächsatmosphäre war beglückend konstruktiv. »Berneuchener Konferenzen« fanden nun jährlich statt, bis 1927 in Berneuchen, danach bis 1930 im nahe gelegenen Pätzig bei Familie von Wedemeyer.
Als Ergebnis der Konferenzen erschien 1926 das Berneuchener Buch. 2* Es schildert die Not und die Aufgabe der Kirche, wie die »Berneuchener« (so begann man sie zu nennen) sie sahen. Eine Erneuerung der Kirche – davon waren die Teilnehmer überzeugt – würde nicht von einem theologischen Programm oder Diskussionsbeitrag ausgehen können, sondern würde in der gelebten Gestalt der Kirche und im Lebensstil ihrer Glieder ansetzen müssen. Das christliche Leben brauchte Gestaltung, und da waren die Berneuchener experimentierfreudig. Wichtig war ihnen zuerst vor allem, überhaupt eine funktionierende Form etwa für ihr gemeinsames Gebet zu finden, die sich in der Praxis dauerhaft als tragfähig erwies. Ob diese Ordnungen auch ›am Schreibtisch‹ gelungen aussahen, war dem gegenüber zweitrangig. Wichtige Quellen für ein leibhaft gelebtes Christsein wurden bald die Feier des Heiligen Mahles (der Eucharistie), das Begehen der Tagzeiten und das Kirchenjahr. In die dreißiger Jahre fallen auch erste Versuche in der Meditation. Die Berneuchener und später die EMB wurden hier schon zwischen den Kriegen zu Vorreitern in der Evangelischen Kirche.
Leibhaft und persönlich war auch der Weg, auf dem die Berneuchener ihre Überzeugung verbreiteten: Es erschienen zwar eine Reihe von Publikationen (etwa die Jahrbuchreihe Das Gottesjahr und, dem Gestaltungswillen der Berneuchener entsprechend, erste liturgische Entwürfe wie Das Gebet der Tageszeiten und Gebete für das Jahr der Kirche). Wichtiger aber waren die Freizeiten und Geistlichen Wochen, die von Berneuchenern angeboten wurden. Wie hier Kirche gelebt wurde, beeindruckte viele.
Die Bruderschaft: verbindliche Gemeinschaft
Der kämpfende Erzengel Michael (Offb 12,7–12) stand ihnen als Vorbild für den eigenen geistlichen Kampf vor Augen. Die Urkunde formuliert: »Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind«. 4* »Die Arbeit an der Kirche verlangte nicht nur gemeinsame Anstrengung, Beständigkeit und festere Bindung, sie verpflichtete die Brüder vor allem, an sich selber zu arbeiten.« 5* Die Bruderschaft will Rückhalt und Schule sein für den Dienst der Brüder. Für die Aufgabe der EMB und der einzelnen Brüder in der Kirche fand man – wohl in der Mitte der 30er Jahre – die griffige Trias »Leiturgia, Martyria, Diakonia«, die heute in der Theologie weitere Verbreitung gefunden hat.
Die praktischen Erfahrungen der ersten Jahre schlugen sich 1934 in der Regel der Michaelsbruderschaft nieder, die die Stiftungsurkunde konkretisiert und die 1937 ihre endgültige Fassung erhielt. Die Ordnung des bruderschaftlichen Lebens, die damals entstand, hat im Wesentlichen bis heute Gültigkeit. Die Leitung der Bruderschaft liegt beim Ältesten und seinem Stellvertreter (Vikar), beim achtköpfigen Rat und dem jährlich tagenden Kapitel mit ca. 25 Mitgliedern. Die Verbindung zur verfassten Kirche halten Kuratoren, die von den Kirchenleitungen bestellt werden. Die EMB ist in regionalen Konventen organisiert, die mehrmals im Jahr zusammenkommen. Der Höhepunkt im Jahreslauf ist das mehrtägige Michaelsfest im September oder Oktober.
Der Zuschnitt der Konvente hat sich im Laufe der Zeit öfter verändert; augenblicklich sind es neun regionale Konvente. Jeder Konvent wird durch einen Konventsältesten geleitet. Neue Brüder können nach mindestens zwei Jahren Probezeit durch einstimmigen Beschluss aufgenommen werden. Für junge Männer und Frauen gibt es die Jungbruderschaft St. Michael, die zwar als überregionaler Konvent der Michaelsbruderschaft gilt, aber ihr gemeinschaftliches Leben selbstständig organisiert. Seit den 50er Jahren hat die EMB im Berneuchener Haus Kloster Kirchberg in Württemberg ein evangelisches Einkehr- und Tagungshaus, für das die Gemeinschaften, die aus der Berneuchener Bewegung hervorgegangen sind, gemeinsam Verantwortung tragen.
Wer in die EMB aufgenommen wird, verpflichtet sich zum Dienst an der Kirche. Er verpflichtet sich zur Treue im täglichen Gebet und zu einer glaubwürdigen christlichen Lebensweise nach der Ordnung der Bruderschaft. Eines der wichtigsten Elemente des Lebens in der EMB ist das so genannte Helferamt. Jeder Bruder hat einen anderen Bruder als »Helfer«, der ihm als Seelsorger zur Verfügung steht und dem er Rechenschaft über seine Lebensführung gibt. »Wir wollen, zunächst in uns selbst, die protestantische Scheu vor der Konkretion abstreifen und wollen uns selbst die Flucht in die unsichtbare und unverbindliche Geistigkeit verwehren. Wir suchen die leibhafte Gestalt der Kirche, eine persönlich- ausführbare Lebensform der Kirche. Darin besteht die Bedeutung des Helferdienstes, daß hier die Bruderschaft jedem einzelnen Bruder im Helferbruder begegnet und unmittelbar in sein Leben hineinwirkt.« 6*
Woran erkennt man einen Michaelsbruder? Bei den Zusammenkünften der Brüder ist das nicht schwer: Dann tragen die Brüder ein Umhängekreuz und bei den gemeinsamen Gottesdiensten einen schwarzen Chormantel. Im täglichen Leben braucht es keine Erkennungszeichen. Das Kreuz können die Brüder verdeckt tragen, wenn sie möchten. Wenn es gelingt, erkennt man sie als Menschen, die im Gebet und in der Stille verwurzelt sind, die Rückhalt in einer Gemeinschaft haben und die daraus die Kraft nehmen, in der Kirche und für die Kirche ihre Kraft einzusetzen. Sie sind ansprechbar für Menschen, die geistlich auf der Suche sind.
Eine ökumenische Gemeinschaft
Auch heute ist die Bruderschaft überzeugt, dass ihr Dienst an der Kirche ökumenisch ausgerichtet sein muss und dass die innere Erneuerung der Kirche zu einer neuen Tiefe des ökumenischen Zusammenlebens führt. Der Satz der Stiftungsurkunde gilt weiterhin: »Wir glauben daran, daß alle Einzelkirchen Glieder sind der einen Kirche Christi und ihren Beruf im gegenseitigen Empfangen und Dienen erfüllen.« 7*
1)Als Quellen für die Geschichte der EMB dienten: Ernst Jansen, Die Evangelische Michaelsbruderschaft. Ein Bericht im Auftrage der Evangelischen Michaelsbruderschaft, Kassel: Joh. Stauda Verlag, 1949; Hans Carl von Haebler, Geschichte der Evangelischen Michaelsbruderschaft von ihren Anfängen bis zum Gesamtkonvent 1967, Marburg: Selbstverlag, 1975; Die Evangelische Michaelsbruderschaft. Fünfzig Jahre im Dienste an der Kirche, Kassel: Joh. Stauda Verlag, 1981.
2) Berneuchener Konferenz (Hg.), Das Berneuchener Buch. Vom Anspruch des Evangeliums auf die Kirchen der Reformation, Hamburg: Hanseat. Verlagsanstalt 1926.
3) Veröffentlicht in: Die Evangelische Michaelsbruderschaft (1981), S. 11–18.
4) Urkunde, Abs. 2, aaO, S. 13.
5) Haebler, S. 17.
6) Walter Stökl: Der Dienst des Helfers in der Evangelischen Michaelsbruderschaft, zit. in: Die Evangelische Michaelsbruderschaft (1981), S. 72.
7) Urkunde Abs. 1, zit. in: Die Evangelische Michaelsbruderschaft (1981), S. 12.
Erbe und Auftrag
Wie die EMB lebt, lässt sich auch heute am besten in der persönlichen Begegnung erfahren. Die Regionalen Treffen bieten interessierten dazu eine erste Gelegenheit. Auch in Veröffentlichungen ist die Spiritualität der EMB zugänglich: neben der Zeitschrift Quatember vor allem das Evangelischen Tagzeitenbuch und Die Feier derEvangelischen Messe. 8* Besonders das letztgenannte Buch kann auch im sonntäglichen Gemeindegottesdienst gut eingesetzt werden. In den letzten Jahrzehnten hat gestaltete Spiritualität ihren Platz in den evangelischen Landeskirchen erobert. Dass es Gemeinschaften wie die EMB geben darf und soll, werden wenige bestreiten. Eine Nische möchte die EMB freilich nicht sein. Die evangelischen Kirchen brauchen weiterhin und vielleicht mehr denn je Keimzellen, von denen verbindlich gemeinsam gelebtes Christsein ausstrahlt in die ganze Kirche. Die Formen, die die EMB dafür gefunden hat – das sind nicht die einzig möglichen! – haben sich über Jahre als tragfähig erwiesen und sind in ihrer Wandlungsfähigkeit auch heute eine Hilfe für das geistliche Leben.
Pfr. Dr. Florian Herrmann, Friedhofstraße 1, 95176 Konradsreuth
1)8Quatember. Vierteljahreshefte für Erneuerung und Einheit der Kirche, Hannover: Luth. Verlagshaus; Evang. Michaelsbruderschaft (Hg.), Evangelisches Tagzeitenbuch, Göttingen: V&R, 5. Aufl. 2003; Ralf-Dieter Gregorius/Peter Schwarz (Hg.), Die Feier der Evangelischen Messe, Göttingen: V&R, 2009.
Das war und ist das Anliegen der „Berneuchener Bewegung“ und der Evangelischen Michaelsbruderschaft seit nunmehr fast 100 Jahren.
Gemeinschaft: Wir machen uns gemeinsam auf den Weg, geistliche Erfahrungen zu machen. Dazu gehört die gegenseitige Ermutigung, Bereicherung und auch Wahrhaftigkeit.
Verbindlichkeit: Wir leben nach einer geistlichen Regel. Nicht als Schiene, sondern als Leitplanken wollen die 72 Absätze der Regel helfen, zu einer geistlichen Haltung zu kommen – innerlich wie äußerlich. Geistiges Wachstum ist eine Lebensaufgabe, in der Bruderschaft üben wir sie mit Singen und Beten, Meditation und Liturgie, Bibelarbeit und Stille ein. Gemeinschaft und Übung brauchen Verbindlichkeit. Ein Leben lang.
An der Kirche bauen: Die Bruderschaft versteht sich als Teil der Kirche. Geistlicher Aufbau und Erneuerung, auch über die Konfessionsgrenzen hinweg, das ist Ziel und Aufgabe der „Berneuchener“. Das leben wir auch in der Bruderschaft, in der es neben verschiedenen evangelischen auch altkatholische, römisch-katholische und anglikanische Brüder gibt. Sie alle versammeln sich um den, der die Einheit der Kirche schafft: Jesus Christus.
Dr. Roger Mielke
Ältester
Kunosteinstr. 5
56566 Neuwied
0157.76399742
aeltester@michaelsbruderschaft.de
Archiv der Evangelischen Michaelsbruderschaft
im Landesarchiv Schleswig-Holstein
Prof. Dr. Dr. Rainer Hering
D 24837 Schleswig, Prinzenpalais
www.schleswig-holstein.de/landesarchiv
Lesesaal geöffnet: Mo. – Do. 8.30-17.00 Uhr