Michaelsfest 2021 Konvent Norddeutschland und Jungbruderschaft
im Evangelischen Bildungszentrum in Hermannsburg 23. bis 26. 09. 2021
Wiedersehen und Kennenlernen mit Freude
Schon einige Tage vorab stieg bei uns die freudige Erwartung und die Sehnsucht, die Geschwister endlich wieder live und in Farbe sehen zu können. In den letzten anderthalb Jahren haben wir uns immerhin häufig digital treffen können. Einzelne Konvente konnten zwar auch stattfinden, aber erst zu diesem Michaelsfest konnten wir Jüngeren mit der Sicherheit des Impfschutzes anreisen, was uns aus Achtsamkeit gegenüber unseren älteren Brüdern und deren Familien wichtig ist. Und natürlich ist es besonders fein, dass unsere beiden „Konventsküken“, die am Michaelsfest 2020 aufgenommen wurden, ihr erstes richtig komplettes Michaelsfest live und in Farbe feiern konnten.
Von Kirche zu Kirche
Coronabedingt verwandelte sich zu den Stundengebeten der große Saal des Tagungshauses einige Minuten vor diesen zu einem Ort der Stille. Einige Ortswechsel wurden ebenfalls nötig. Dies hatte aber den positiven Effekt, dass wir die wunderbaren Kirchen Hermannsburgs, durch die uns Bruder Scheller mit seiner sehr beeindruckenden Ortskenntnis führte, nicht nur besichtigen, sondern angefüllt mit unserer Festliturgie in ihnen feiern konnten.
Neben der St. Peter und Paul Kirche durften wir in der Großen Kreuzkirche der SELK zu Gast sein. Unsere Festmesse feierten wir in der Kapelle der Hochschule für Interkulturelle Theologie. So spazierten wir auf unserem Michaelsfest im Rahmen unserer Festliturgie wie durch die Kirche in Zeit und Raum: In Wort und Sakrament, Rechenschaft und Buße verbunden und mitten hindurch durch die lebendige Geschichte Hermannsburgs. An spannenden und erkenntnisreichen Diskussionen über die Zukunft der Kirche im Angesicht der anstehenden gesellschaftlichen Transformationsprozesse mangelte es auch nicht.
Gemeinsamkeit jung und alt
Die Geschichte, in die wir gestellt sind und die Gemeinschaft, in der wir leben, wurde im Festvortrag von Bruder Naglatzki anschaulich, der es wie kein zweiter versteht liebevoll, und wahrhaftig von der lebendigen Geschichte der Bruderschaft und von seinen Erlebnissen mit den Gründerbrüdern zu erzählen. Mit seinen und Bruder Schellers Worten im Herzen feierten wir eine ungewöhnliche, aber unvergessliche Agapefeier.
Nach vielen Gesprächen und Begegnungen fuhren wir schließlich heim, begleitet vom Engel des Herrn: Aufgerichtet durch unsere Liturgie, voll Ehrfurcht vor dem Lebenswerk unserer norddeutschen Brüder, die seit vielen Jahrzehnten, teilweise sogar mehr als doppelt so lang wie die Lebensspanne von uns Junggeschwistern zusammen kommen und durch ihre Frömmigkeit und Praxis die Bruderschaft lebendig halten.
Wir fuhren heim: Erfüllt von der Freude über die Aufnahmen im Konvent Norddeutschland und darüber, dass unsere Gäste sich bei uns sichtlich wohl fühlten. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge darüber, dass wir einen der Unseren in den hessischen Konvent entlassen haben. Und natürlich auch voller Vor freude auf unsere nächsten Konvente und ein hoffentlich baldiges Wiedersehen mit unseren großen Brüdern aus dem Norden.
Stefanie Maria Houben
Jugendarbeit wohin?
zum aktuellen Stand der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Evangelischen Kirche
Pfr. Lennart Meißner (EMB), Schulpastor am Gymnasium in Bückeburg, Konvent Norddeutschland beim Michaelsfest
Liebe Schwestern und Brüder,
ich möchte euch zunächst beschreiben, wie ich religiös aufgewachsen bin. Ich war in den 80ern Kind in einer katholischen Familie in Stuttgart, und es war für mich normal, jeden Sonntag mit meiner Mutter und meiner Schwester in die Heilige Messe zu gehen, bereits im Kindergartenalter. Ich war nicht immer aufmerksam (ich erinnere mich, dass ich während des Gottesdienstes Busfahrer gespielt habe), aber der regelmäßige Gottesdienst hat mich von klein auf begleitet und geprägt.
Später hatte ich Heilige Erstkommunion in einer Kirchengemeinde, die zur Gemeinschaft der Franziskaner gehörte und war danach mehrere Jahre Ministrant. Eindruck auf mich hat auch die tiefe Frömmigkeit meiner polnisch-stämmigen Großmutter hinterlassen. Überall in der Wohnung meiner Großeltern hingen Heiligenbilder, neben dem Bett meiner Großmutter lagen mindestens fünf Rosenkränze, und vor dem Mittagessen wurde der Engel des Herrn gebetet. Das als Kind über Jahre zu erleben hat mich geprägt, auch wenn ich später über die Jugendarbeit zur Evangelischen Kirche gekommen bin.
Die meisten Kinder und Jugendliche heute, die mir in meinem kirchlichen und schulischen Alltag begegnen, wachsen nicht so auf. Sie gehen nicht Sonntagmorgens mit ihren Eltern in den Gottesdienst (was für mich bei den vielerorts doch eher „kargen“ evangelischen Sonntagmorgengottesdiensten nachvollziehbar ist), es gibt in den Familien wenig praktizierte „häusliche Frömmigkeit“, oft wenig oder keinen Kontakt zur örtlichen Kirchengemeinde, und nicht jeder hatte eine katholische polnische Oma.
Die große Mehrheit der evangelischen Kinder und Jugendlichen wächst nur locker kirchlich sozialisiert auf. Glaube und Kirche spielen in den meisten Familien nur eine geringe Rolle und wenn, dann zu besonderen Gelegenheiten (Weihnachten, Familienfeste). Dies führt bei vielen spätestens im Jugendalter zu religiöser Indifferenz – nicht aktiver Ablehnung oder gar Feindlichkeit gegenüber der Kirche, aber einer unbestimmten Haltung, die damit verbunden ist, keine großen Erwartungen an Glauben und Kirche zu haben und nicht das Gefühl, dass damit etwas im Leben fehlen könnte.
Wer als Kind nicht religiös aufwächst und Glaube und Kirche nicht von klein auf verinnerlicht hat, vor allem in der Familie, wird später nur schwer darin Heimat finden. Das gilt nicht absolut. Es gibt natürlich Menschen, die als Erwachsene Religion und Spiritualität für sich entdecken, und umgekehrt kehren Menschen der Kirche den Rücken, die sehr wohl christlich aufgewachsen sind. Aber aufs Ganze betrachtet gilt doch: Wer nicht schon früh einen Bezug zu Glaube und Kirche entwickeln und darin Wurzeln schlagen konnte, bei dem wird das als Erwachsener nicht so häufig passieren.
Was bedeutet das für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in der Kirche?
Es ist nicht so, dass es in der Kirche nicht Ideen und Engagement in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gäbe. In Kitas in kirchlicher Trägerschaft wird vielerorts wieder mehr darauf geachtet, dass in der Kita evangelisch drinsteckt, wenn auf dem Schild am Eingang evangelisch draufsteht. Etliche Kirchengemeinden machen kontinuierliche und projektmäßige Angebote für Kinder (Kinderbibeltage laufen häufig gut), auch wenn wöchentliche Gruppenangebote weniger werden, die klassische Kinderkirche kämpft und die hohe Bedeutung von Arbeit mit Kindern in der Kirche auf den verschiedenen Ebenen kirchlicher Arbeit nicht immer ausreichend wahrgenommen wird. Viele Kolleginnen und Kollegen im Pastorenamt geben sich in ihrer Konfirmandenarbeit viel Mühe und investieren Zeit und Kreativität – davor habe ich Respekt. Familienarbeit ist ein Arbeitsbereich, der nach meiner Wahrnehmung nach von Kirchengemeinden zunehmend in den Blick genommen wird, zum Beispiel in Form von Familienfreizeiten (ich werde in den kommenden Sommerferien selber auf dem Kirchberg eine Familienfreizeit anbieten). In der Jugendarbeit mit Jugendlichen ab 13 Jahren tut sich der „klassische“ wöchentliche Jugendkreis schwer. Jugendgottesdienste werden tendenziell stärker von Konfirmanden (die kommen müssen) besucht als von älteren Jugendlichen. Jugendkirchen, die im letzten Jahrzehnt an verschiedenen Orten neu gegründet wurden, haben Schwierigkeiten, erfolgreich in die „zweite Generation“ zu kommen und haben sich flächendeckend nicht als Lösung für die Probleme der schwächer werdenden Jugendarbeit erwiesen. Eine gute Chance erfolgreich angenommen zu werden, haben projektmäßige Angebote und Angebotsformen, bei denen sich Jugendliche aktiv einbringen können, wie Mitarbeit bei Kinderbibeltagen oder in einem Ferienwaldheim. Charismatisch geprägte freikirchliche „Lifestyle-Gemeinden“ wie ICF schaffen es durchaus, eine stabile Anhängerschaft Jugendlicher und junger Erwachsener zu generieren, vergleichbare Versuche, innerhalb der evangelischen Kirche ähnliche Gemeinden zu gründen, waren bisher aber selten erfolgreich. Angebote für Kinder und Jugendliche aus dem Spektrum von „Fresh Expressions of Church“ haben an einigen Orten interessante Projekte hervorgebracht, die aber nicht einfach auf andere Orte und Personen übertragbar sind.
Der Religionsunterricht, mit dem wir als Kirche immer noch in großer Breite präsent und mit vielen Kindern und Jugendlichen in Kontakt sind, nützt seine Möglichkeiten zu wenig. Die Bildungspläne sind zu kopf- und textlastig und zu wenig anregend und interessant. Ich versuche, meinen Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht einen Ort mit Lebensqualität in der Schule zu bieten durch kreativen und anschaulichen Unterricht (mit frei erzählten biblischen Geschichten), aber auch durch „Auszeiten“ wie gemeinsames Frühstücken, Brettspielstunden, interessanten Gästen und Exkursionen zu spannenden Orten. Das macht den Religionsunterricht bei den Schülerinnen und Schülern durchaus beliebt, ich merke aber, dass ich am Thema „Geistliches im Religionsunterricht“ noch weiter arbeiten muss.
Bei allem Engagement in Kirchengemeinden und Schulen bleibt aber die Problematik bestehen, dass ohne eine religiöse Sozialisation in der Familie keine „geistliche Grundierung“ bei Kindern und Jugendlichen vorhanden ist. Das Aufwachsen mit dem Glauben in den Familien ist der Schlüssel. Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kann in der Kirche noch so engagiert, kreativ und liebevoll gemacht sein: Die religiöse Verwurzelung in den Familien kann sie nicht ersetzen. Und die religiöse Verwurzelung von Eltern ist eben auch seltener geworden. Wir befinden uns in einem gesellschaftlichen Prozess zunehmender Säkularisierung und wachsender Kirchenferne. Es ist von einem „geistlichen Grundwasserspiegel“ die Rede, der kontinuierlich sinkt. Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung kann nicht mehr aufgehalten und gebrochen werden, zumindest nicht in der Breite. Und Kinder und Jugendliche und ihre Eltern sind Teil dieser Entwicklung.
Die Kirchen reagieren auf diesen gesellschaftlichen Trend mit alarmierter Aktivität: Positionspapiere („Kirche der Freiheit“, „Hinaus ins Weite – Kirche auf gutem Grund“ u.a.), Entwicklungsprozesse (z.B. PuK in der bayrischen Landeskirche) und Zukunftskongresse, auch unter Einbeziehung des Arbeitsfeldes „Arbeit mit Kindern und Jugendlichen“. Dadurch konnte durchaus an manchen Orten Gutes angestoßen werden, und selbstkritisches Reflektieren und Diskutieren sind sicherlich nicht verkehrt. Aber es muss festgestellt werden, dass Papiere, Prozesse und Kongresse auf das Ganze der Kirche betrachtet, wirkungslos geblieben sind. Sie hatten keinen erkennbaren Einfluss auf Säkularisierung und wachsende Kirchenferne eines Großteils der evangelischen Gemeindeglieder, alten und jungen. Das muss man nüchtern zu Kenntnis nehmen.
Was tun?
Ich wünschte, ich könnte euch an dieser Stelle im Vortrag eine brillante Lösung für die schwierige Lage, in der sich die Kirche und ihre Arbeit mit Kindern und Jugendliche gerade befindet, präsentieren. Ich kann es nicht. Aber ich kann euch beschreiben, wie ich persönlich versuche, mit dieser Situation umzugehen, möglichweise kann das ein Impuls zum weiter Nachdenken sein.
Vielleicht gehen wir das Ganze falsch an. Die Kirche denkt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen häufig: Wie bekommen wir die Kinder und Jugendlichen her zu uns, in unsere Kirche, in unser Gemeindehaus? Wie können wir sie zu uns führen und bei uns halten? Wie können wir sie in der Kirchengemeinde beheimaten, sie so „christlich machen“, dass sie möglichst oft zu Veranstaltungen der Kirchengemeinde kommen?
So nachvollziehbar ich als ehemaliger Gemeindepfarrer diese Fragen finde: Mit diesen Fragen geht es uns in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eigentlich nicht um die Kinder und Jugendlichen selbst, sondern um uns. In Wirklichkeit fragen wir: Wie können wir im Gemeindeleben davon profitieren, dass Kinder und Jugendliche zu uns kommen? Was haben die Kirchengemeinde und das Leben im Gemeindehaus davon? Auch wenn es von Pastorinnen und Pastoren und engagierten Ehrenamtlichen in der Jugendarbeit nicht so gemeint ist, besteht die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche für uns nur „Mittel zum Zweck“ sind, um das Gemeindehaus mit Leben und Veranstaltungen zu füllen.
Müssten wir nicht andersherum denken? Nicht, wie wir Kinder und Jugendliche in unsere Häuser bekommen, sondern wie wir Kindern und Jugendlichen Gutes tun können? Schauen, was sie brauchen, und davon ausgehend, Kindern und Jugendlichen etwas Passendes für sich und ihre Bedürfnisse anbieten, auch wenn das vielleicht nicht dazu führt, dass sie dadurch in unserem Gemeindehaus sind? Zugespitzt auf den Punkt gebracht: Sind wir bereit, Kindern und Jugendlichen „uneigennützig“ zu dienen, nur mit Blick darauf, was für die Kinder und Jugendlichen gerade dran ist? Einfach so bereit sein, ihnen Gutes zu tun? Nächstenliebe, in der es um den anderen, nicht um uns selbst geht?
In Jesu Gleichnis vom Barmherzigen Samariter lädt der Samaritaner den verletzten Mann, den er in der Wüste findet, nicht in seine samaritanische Gemeinde zum Gottesdienst ein. Sondern er tut dem verletzten Mann Gutes, genau das, was für ihn in seiner schlimmen Situation notwendig ist: Er verarztet und verbindet seine Wunden, bringt ihn an einen sicheren Ort und kümmert sich darum, dass der Verletzte gut versorgt ist und alles bekommt, was er braucht. Der Samaritaner tut, was getan werden muss, nur mit Blick auf den Verletzten, ohne darauf zu sehen, was für ihn selbst (oder seine Gemeinschaft) gerade wichtig und interessant sein könnte.
Während der Zeit der Corona-Krise habe ich an meiner Schule immer wieder Aufgaben übernommen, die eigentlich ein Schulsozialarbeiter machen würde. Ich habe Beratungs- und Lerngespräche geführt, war ein bis zwei Vormittage in der Woche in der Notbetreuung eingesetzt, habe mit Schülerinnen und Schüler im Homeschooling Aktionen, Projekte und Wettbewerbe durchgeführt (vor allem kreative Dinge, etwas, das man mit den Händen gestalten kann, dass man anderen zeigen und darauf stolz sein kann) und in den Sommerferien Freizeitangebote gemacht.
Ich bin in dieser Zeit zumindest ein Stück weit vom Schulpastor zum Schulsozialarbeiter geworden. Nicht mit dem Hintergedanken, wie die Kirche davon profitieren könnte, wenn ich das mache, sondern einfach, weil es das war, das in der schwierigen Situation von Lockdown und Homeschooling gebraucht wurde und nötig war. Und ich habe mich für die Schülerinnen und Schüler gerne engagiert. Es war schön, ihnen auf diese Weise in ihrem komplizierten und teilweise belasteten Alltag etwas Gutes tun zu können.
Ich bin in den zurückliegenden Jahren zunehmend davon weggekommen, in meiner Arbeit nach den Interessen der Kirche zu fragen, was die Kirche braucht, wie ich die Kirche um ihrer selbst willen mit weiterentwickeln kann. Ich möchte fragen, was die Menschen brauchen und mich auf die praktische, direkte Arbeit mit Menschen, orientiert an ihren Wünschen und Bedürfnissen konzentrieren und ihnen Gutes zu tun, so gut ich es mit meinen Möglichkeiten und Beschränkungen, Begabungen und Fehlern eben kann.
Das ist gewiss nicht der einzige mögliche Weg unter den aktuell gegebenen gesellschaftlichen und kirchlichen Umständen christliches Leben zu gestalten. Aber ich fühle mich damit frei. Und ich kann auf diese Weise, wie die Regel es von uns Brüdern fordert, mit Freude an der Kirche bauen.
(Vortrag, gehalten auf dem Michaelsfest des Konvents Norddeutschland und der Jungbruderschaft – schriftliche, leicht gekürzte Version)
Lennart Meißner