Bericht über die Einkehrtage in Engelthal vom 6. – 8. Januar 2020
Da wir exakt am Epiphaniastag angereist waren, begannen wir unseren Kon- vent mit der Teilnahme an der feierlichen Epiphaniasvesper der Schwestern. Bei unserem Begrüßungskonvent nach dem Abendessen waren nahezu alle Schwestern anwesend, Bruder Wulfert verteilte das neue Tagzeitenbuch und überreichte natürlich auch ein Exemplar an Mutter Elisabeth. Alle Brüder, die ein Exemplar erhalten haben, werden gebeten, 32,50 EUR an die Kon- ventskasse zu zahlen.
Nach der Vesper trafen wir uns zu brüderlichem Gespräch und Singübungen. Bevor wir mit Volker Truschel die gemeinsame Vesper mit den Schwestern einübten, berichtete er uns von dem Fortgang der Arbeiten an seiner St. Johannes-Kirche. Zunächst einmal gibt es endlich wieder die Möglichkeit, einen Gottesdienst in der Kirche abzuhalten. Die Bauarbeiten verzögerten sich indes weiter, nachdem man vor dem Hohen Chor das Grab des Mainzer Erzbischofs Erkanbald gefunden hatte, der dort in einem römischen Steinsarg bestattet worden war. Mit der Auffindung des Grabes und der Identifizierung des Bestatteten konnte der endgültige Beweis erbracht werden, dass es sich bei St. Johannes tatsächlich um den Alten Dom handelt. Das Alter der Gebeine wurde mit der C14-Methode ermittelt, eine DNA-Analyse steht noch aus. Am Abend vor der Weihe des neuen Doms wurde dieser nämlich durch einen Brand soweit zerstört, dass die Reparatur volle 36 Jahre in Anspruch nahm – in dieser Zeit wurde also weiterhin der Alte Dom als Bischofskirche benutzt. Der Sarg wurde unter Gebet und Segen erneut verschlossen, wobei Volker die Antiphon „Ich bin die Auferstehung und das Leben…“ sang. Danach blieb uns noch Zeit für persönliche Mitteilungen. Willi Zimmermann stellte uns Frau Hannelore Roeder, seine neue Lebensgefährtin, vor. Was unseren erkrankten Bruder Sebastian Scharfe angeht, so arbeitet er im Kirchenamt der EKD sozusagen an der Schnittstelle zwischen Kirche und bürgerlicher Welt, indem er Fragen beantwortet, die der EKD per email gestellt werden. Er sollte einmal in einem Konvent von seiner Arbeit berichten. Volker Truschel berichtete, dass an einem Nutzungskonzept für seine Kirche gearbeitet wird, wobei teilweise weder er noch der Kirchenvorstand beteiligt werden. Es gibt sogar Tendenzen, das Bibelmuseum in St. Johannes unterzubringen, wozu es inzwischen sogar einen Prüfauftrag der Synode gibt. Dennoch kann man wohl davon ausgehen, dass St. Johannes weiter als Kirche genutzt werden kann. Schließlich berichtete Volker uns noch von den vielfältigen gemeinsamen Aktivitäten von Altem und Neuem Dom. Vor der Complet versammelten sich die voll aufgenommenen Brüder noch zu einem geschlossenen Konvent, in dem wir in brüderlicher Eintracht einige Probleme zu lösen versuchten. Als wir zur Complet in das Alte Refektorium ziehen wollten, fanden wir den Raum verschlossen. Fast hätten wir die Complet in dem nüchternen Vortragsraum gesungen, hätte nicht Karin Lilie die Idee gehabt, dass wir uns um Baum und Krippe im Eingangsbereich aufstellen könnten.
Am Dienstag nahmen wir am Konventsamt der Schwestern teil, das in die Laudes eingebettet war. Nach dem Frühstück übten wir mit unserem Kantor den Hymnus der Vesper ein, danach gab er uns eine Einführung in das neue Tagzeitenbuch. Es ist logischer aufgebaut als die bisherige Auflage, ist an die neue Perikopenordnung angepasst und berücksichtigt bei den Lesungen stärker die alttestamentlichen Stücke. Entsprechend den kirchlichen Vorga- ben sind einige neue Fest- und Gedenktage hinzugekommen, etwa am 27. Januar das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, am 9. November das Gedenken an die Novemberpogrome, zwei Tage später St. Martin, und am 6. Dezember der Nikolaustag. Vor allem sind die Teile für das Gebet des Einzelnen und das Chorgebet übersichtlich voneinander getrennt. Im Chor- gebet wird die Sext in zwei Formen angeboten – einmal mit Angelus und einmal als Friedensgebet. Dies alles war rasch erklärt, so dass wir noch Zeit für einen zweiten geschlossenen Konvent fanden, bevor wir am Mittagsgebet der Schwestern teilnahmen.
Am Nachmittag übten wir ein letztes Mal für die Vesper, anschließend hielt Thomas Schanze uns einen Vortrag zum Thema „Kann es ein ökumenisches Abendmahlsverständnis geben?“ Das Thema lockte auch die Äbtissin, Schwes- ter Liobgid und eine weitere Schwester an. Im Neuen Testament berichten nur die Synoptiker und Paulus im ersten Korintherbrief vom Abendmahl. Keiner dieser Texte gibt Auskunft, was der historische Jesus seinen Jüngern über das Abendmahl gesagt hat. Was wir haben, stammt aus der liturgischen oder ka- techetischen Überlieferung der frühchristlichen Gemeinde vor der Festlegung des Kanons. Bei Paulus ist ein sehr alter Text überliefert, der den Schluss zu- lässt, das zwischen dem Brechen des Brotes und der Darreichung des Kelches eine ganze Mahlzeit lag. Allerdings geht es bei Paulus auch weniger um die genaue Form des Abendmahls, vielmehr hat er die Frage des Verhältnisses von Arm und Reich im Blick. Zudem standen im Anfang ohnehin nicht so sehr die Elemente als vielmehr das Brechen des Brotes im Zentrum. „Das ist mein Leib“ bezog sich ursprünglich weniger auf das Brot als vielmehr auf das Brechen des Brotes. Diese Thematik ist dann aber in der Tradition nicht weiter verfolgt worden — der Focus richtete sich vielmehr zunehmend auf die Elemente. Bedenken muss man auch, dass es aus jüdischer Sicht unmöglich war, Blut zu trinken — Blut war heilig und gehörte Gott.
Wenn Jesus mit Zöllnern und Sündern gegessen und getrunken hat, so ging es nicht darum, diese satt zu machen, sondern darum, sie wieder in die Ge- meinschaft aufzunehmen, also um Gottes Vergebung für die Sünder. Mit Jesu Wirken beginnt hier und jetzt schon das Reich Gottes – das beinhaltet eine eschatologische Dimension. Es wird etwas vorweggenommen, was später ohnedies geschehen wird, dass wir nämlich am Tisch des Herren sitzen.
War das erste Abendmahl nun ein Passahmahl oder nicht? Bei Johannes stirbt Jesus einen Tag vor dem Passahfest — er ist das wahre Passah-Lamm. Bei den Synoptikern stirbt er am Tag nach dem Passahfest — das Mahl ist also das wahre Passahmahl.
Im zweiten Jahrhundert stehen dann Brot und Wein, Leib und Blut Christi, im Mittelpunkt. Bis zum Laterankonzil 1215, auf dem die Transsubstantiati- onslehre als verbindliche Lehre formuliert wird, gab es lokal ganz verschiedene Formen. In der Antike wurde das Abendmahl unter dem Einfluss der Mysteri- enkulte zunehmend exklusiver, während ursprünglich jeder (auch Ungetaufte) an der Feier teilnehmen durfte, und man benötigte Priester zum Vollzug der Feier, während anfänglich einfach der Hausherr das Brot gebrochen hatte. Schon die Didache nennt die Taufe als Bedingung für die Zulassung zum Abendmahl. Wenn zudem Jesus Christus in den Elementen anwesend ist, dann kann er nicht auch anderswo sein, womit ein Gegensatz zwischen Kir- che und Welt entsteht, und Christi Gegenwart sich auf die Kirche beschränkt. Die Weltherrschaft Christi kann also nur durch eine Weltherrschaft der Kir- che realisiert werden. Das Evangelium wird nun der Gegenwart Christi in den Elementen nachgeordnet. Die Transsubstantiationslehre blieb unange- fochtene Lehrmeinung bis zur Reformation. Luther betonte die reale Präsenz Christi in, mit und unter der Gestalt von Brot und Wein. Für Calvin und Zwingli ist Christus durch den Heiligen Geist bei der Feier gegenwärtig aber nicht notwendig unter der Gestalt von Brot und Wein.
Thomas Schanze sieht nun drei Möglichkeiten:
- “Back to the roots” Wir machen einen reset und betonen den Gemein- schaftsaspekt und den eschatologischen Aspekt, was indes unrealistisch ist; denn bisher haben alle Versuche, unmittelbar an das Urchristentum anzuschließen, nur zur Bildung neuer Sekten geführt.
- Konkordie: man macht einen Formelkompromiss wie bei der Leuenber- ger Konkordie.
- Wir also
- – Lutherisch: Christus ist gegenwärtig aber nicht auf Dauer an die Elemente gebunden
- – Reformiert: Christus ist durch den Heiligen Geist gegenwärtig
versuchen, die unterschiedlichen Positionen zusammenzudenken, – Katholisch: Wandlung und Opfergedanke
Zum Ende fasste Thomas Schanze seine Gedanken folgendermaßen zusam- men: Brot und Wein sind Symbole, weil sie an die Taten Gottes an Jesus erinnern. Demgemäß hat das Abendmahl drei Aspekte: Christus mit uns, Christus unter uns, Christus für uns. An den Vortrag schloss sich eine aus- gesprochen lebendige Diskussion an, an der sich auch die drei Schwestern beteiligten.
Zur gemeinsamen Vesper saßen wir mit den Schwestern im Chorgestühl, Frank Lilie hielt eine kurze Ansprache zum Thema „Der Stern von Beth- lehem“, die er mit dem leicht gekürzten Vers „Schenk ihm dein Herz“ aus Peter Cornelius’ Epiphaniaslied beschloss. Nach dem Auszug der Schwestern am Ende der Vesper nahm Schwester Caterina (sic) an der Orgel noch das Schlusswort von Bruder Lilies Predigt auf, indem sie für uns noch Variationen zu „Drei Kön’ge wandern aus Morgenland“ spielte.
Nach dem Abendessen war eigentlich noch eine weitere Diskussion über den Vortrag von Thomas Schanze vorgesehen. Da wir indes der Meinung wa- ren, alle Aspekte hinreichend bedacht zu haben, machte Thomas uns den Vorschlag, uns zu einer Traumreise einzuladen. Hierzu bedurfte es keiner- lei Vorbereitungen und auch keiner besonderen Kleidung. Wir mussten nur entspannt auf unseren Stühlen sitzen und seinen Anweisungen folgen. Leider kann ich Euch nichts von der Traumreise erzählen: Thomas hatte nämlich schon angekündigt, dass wir höchstwahrscheinlich während der Traumreise einschlafen würden, und genau das geschah mir auch. Allerdings bin ich auch genau zum Ende der Reise wieder aufgewacht. Die Complet konnten wir dies- mal tatsächlich im Alten Refektorium beten.
Die Messe am Mittwoch feierten wir dann mit Jürgen Renner und Hans- Joachim von Samson (der auch die Predigt hielt) als Werktagsmesse nach unserer Ordnung, wobei auch zwei Gäste aus dem Hause teilnahmen. Volker Truschel begleitete die Feier mit dem Klavier so bravourös, dass wir nach dem Postludium Beifall klatschten. Nachdem wir unsere Zimmer geräumt hatten, trafen wir uns noch einmal zu einem Vortrag von Heiko Wulfert mit dem Titel „Zeugen des eucharistischen Mysteriums: Romano Guardini, Odo Casel, Wilhelm Stählin“.
Allen drei Genannten ist gemeinsam, dass sie der ersten Hälfte des vergan- genen Jahrhunderts zuzurechnen sind und von dem tiefgehenden geistes- geschichtlichen Wandel nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beeinflusst worden sind. Auf katholischer Seite war man bemüht, Privatandachten wie Rosenkranzgebet und Herz-Jesu-Verehrung hinter dem aktiv teilnehmenden Mitvollzug der Heiligen Messe zurücktreten zu lassen. Die Liturgie sollte nicht mehr die öffentliche Betätigung einer societas perfecta, sondern gemeinsame Feier der göttlichen Geheimnisse sein. Auf der evangelischen Seite stellte die Dialektische Theologie nach dem Ende des Kulturprotestantismus Gott als den ganz Anderen ins Zentrum, was in der Liturgie zu einer Betonung des Begriffs Mysterium führte.
Romano Guardini (1885–1968) hatte nacheinander drei Lehrstühle für „Reli- gions-Philosophie und katholische Weltanschauung“ inne. Obendrein leitete er von 1927–1933 den Quickborn. Im Jahre 1918 veröffentlichte er den Band „Vom Geist der Liturgie“, in dem er die Messe nicht mehr als coram publi- co gefeiertes Schauspiel sieht, sondern als Geschehen im aktiven Mitvollzug der Messgemeinde, was später vom Vaticanum II als participatio actuosa ge- fordert werden sollte. 1935 ließ er den Band „Besinnung vor der Feier der heiligen Messe“ folgen, in dem er auf die Bedeutung von Stille und Schweigen hinweist. Erst im Schweigen kann das Wort gehört werden, und Stille und Schweigen sind nötig für die Sammlung, die im tätigen Mitvollzug die Mes- se feiert. Als Hindernisse dafür benennt er Gewohnheit, Sentimentalität und Unzulänglichkeit.
Odo Casel (1886–1948) war Benediktiner in Maria Laach und von 1922 an Spiritual der Benediktinerinnen in Herstelle. In seiner zweiten Dissertation (der philologischen) von 1919 schrieb er „de philosophorum Graecorum silen- tio mystico“, also eine Abhandlung über die Mysterienreligionen. Als Spiritu- al führte er die Schwestern von den hergebrachten privaten Andachtsformen zur Mysterientheologie und dem Mitvollzug der festlichen Liturgie. Im Jah- re 1948 erlitt er in der Feier der Osternacht beim Anstimmen des Exsultet einen Schlaganfall, der kurz darauf zu seinem Tod führt. Auf seiner Grab- platte in Herstelle steht „Mystagogus nobis et Pater“. Casel betonte, dass die Offenbarung Gottes in Wort und Sakrament geschieht, die nicht voneinander zu trennen sind. Im Mittelpunkt der Liturgie steht Christus selbst. „In sei- ner Kraft vollzieht der sakramentale Priester als Vorsteher der sakramental geweihten Ekklesia die mystischen Feiern . . . Durch das sakramentale Opfer wächst sie [sc., die Kirche] täglich tiefer in seinen Tod und dadurch in seine Auferstehung hinein.“
Wilhelm Stählin (1883–1975), einer unserer Gründerväter traf im Jahre 1934 erstmals mit Odo Casel zusammen. Wie Stählin Odo Casels Gedanken rezi- piert hat, können wir in seiner Schrift aus dem Jahre 1936 „Vom göttlichen Geheimnis“ und dem 1970 erschienenen Buch „Mysterium. Vom Geheimnis Gottes“ nachlesen. In diesem Werk erklärt Stählin das eigentliche Mysterium als Gott selbst in Seinem Willen, die Welt mit sich zu versöhnen und die Menschen zum Heil zu führen. Er schreibt „Das christliche Mysterium gibt dem Gläubigen Anteil an dem Tod und der Auferstehung Christi, in diesem einmaligen Geschehen, das sich nun in ihm und an ihm auswirken und ver- wirklichen will.“ Im zweiten Teil seines Buches will Stählin Christus als ρχ τ ν μυστηρ ων darstellen — nicht nur als zeitlichen Anfang sondern als das Ganze bestimmendes und beherrschendes Prinzip. Der Ort, an dem das Mysterium als solches erfahren wird, ist die Liturgie und in ihr wiederum das Heilige Mahl.
Wiederum schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die Pater Notker mit den Worten beendete: „Lebt in der Fülle von dem, was Euer Herz sagt. Ihr müsst es ja nicht jedem auf die Nase binden.“ Es schloss sich ein letzter geschlosse- ner Konvent an, bevor wir uns im Alten Refektorium zum Mittagsgebet mit dem Reisesegen versammelten. Nach dem Mittagessen verabschiedeten wir uns voneinander und machten uns dankbar auf den Heimweg, wobei unser Dank vornehmlich unserem Konventsältesten und Volker Truschel galt, aber auch ganz besonders Jürgen Renner, der zunehmend die Last der Organisa- tion trägt.
Christian Fenske