Predigt zum Sonntag Lätare

Predigt in der Woche des Sonntags Lätare über Johannes 12,20-26,
zum Ökumenischen Konvent in Altenberg am 20.03.2021

 

20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen‘s Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird‘s bewahren zum ewigen Leben. 26 Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Am Anfang wird von einer unverbindlichen Anfrage berichtet: Wir würden Jesus gerne mal treffen. Vielleicht steht ein Bildungsinteresse oder religiöse Neugier dahinter. Und am Ende, nur sechs Verse später, steht das Bekenntnis Jesu zu denen, die ihm folgen: Wo ich bin, soll mein Diener auch sein, und mein Vater wird ihn ehren.

Zwischen diesen beiden Polen spannt sich in der konzentrierten Art und Weise, wie wir sie beim Evangelisten Johannes oft finden, eine ganze Christologie und zugleich eine ganze Lehre vom Glauben. Aber fangen wir vorne an.

Man könnte meinen (und so habe ich zunächst auch gedacht), dass es sich bei den „Griechen“, die zum Fest gekommen waren, um griechischsprachige Juden gehandelt hat. Es sind aber tatsächlich Heiden, Nicht-Juden gemeint. Dass sie zum Fest nach Jerusalem gekommen sind, hat aber wiederum mit den griechischsprachigen Juden zu tun. Die lebten nämlich überall in den Zentren und Städten des Imperiums bis hin nach Rom und darüber hinaus. Sie redeten wie alle Welt Griechisch und ihre Heilige Schrift war die LXX, die offizielle griechische Übersetzung der hebräischen Bibel. Genau so wie heute erwiesen sich die jüdischen Gemeinden als ausgesprochen flexibel und anpassungsfähig. Auch heute sind die Synagogengemeinden zum einen mit Israel fest verbunden, zum anderen etwa in Europa oder in den USA keine abgeschotteten, in sich zurückgezogenen Sonderwelten, sondern in den Kulturen, in den sie leben, fest verwurzelt und beheimatet. Mit bedeutenden Persönlichkeiten nehmen sie aktiv am öffentlichen Geistesleben teil, in unserem Zeitalter etwas Hannah Arendt oder Martin Buber, um die Zeitenwende herum besonders Philo von Alexandrien oder Josephus. Das war im Zeitalter des Hellenismus – ähnlich wie die unsere im gewissen Sinne eine liberale, tolerante und multikurelle und multireligiöse Zeit. Damals wie heute gab es Antisemitismus, auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber gab es etliche, die fasziniert waren vom jüdischen Glauben. Die Juden verkündeten keine Lehre, keinen Mythos, keine Philosophie, sondern sie erzählten eine Geschichte, die sich real in Raum und Zeit mit richtigen Menschen ereignete, eine Geschichte von Gott im hier und jetzt. So gab es viele, die sich zwar nicht den Mühen der sehr aufwendigen Konversion zum Judentum unterzogen, aber trotzdem die Nähe zu den Synagogen suchten. In der Apostelgeschichte werden sie Gottesfürchtige genannt, sie spielen bei der Mission und der Gründung der ersten Gemeinden eine wichtige Rolle.

Um solche Gottesfürchtige dürfte es sich bei den hier erwähnten Griechen handeln. Nicht als Juden, wohl aber als Freunde Israels sind sie zum Fest gekommen. Sie entdecken, dass es hier sehr unterschiedliche Kreise und Traditionen gibt, die Sadduzäer, die Pharisäer, die Essener, die Leute um Herodes und dass es da auch noch einen hochinteressanten Prediger Namens Jesus mit seinen Schülern gibt, und den kennen zu lernen, würde sich wirklich lohnen, der hat offenbar viel Kluges zu sagen. Aber es wird ihnen so gegangen sein wie vielen Heiden und Gottesfürchtigen. Sie wurden auf die Christen und auf Christus aufmerksam, aber statt sie befragen zu können, was es mit ihm auf sich hat, wurden sie selbst in Frage gestellt.

Zunächst war es nicht ganz einfach, zu Jesus zu gelangen. Der hatte, wie wir auch aus den anderen Evangelien wissen, kein besonderes Interesse an den Heiden. Die Frau aus Syrophönizien oder der römische Centurio aus Kapernaum mussten schon sehr entschlossen auftreten, um Jesus auf sich aufmerksam zu machen. Kein Wunder, dass Andreas und Philippus mit ihnen erst mal nichts anzufangen wussten.

Es scheint dann aber tatsächlich zur Begegnung mit ihnen gekommen zu sein, auch wenn dies nicht ausdrücklich berichtet wird. Aber wie diese Begegnung ausgegangen ist, erfahren wir nicht, ist dem Evangelisten auch nicht so wichtig, weil es ihm viel mehr um jene Griechen, jene Heidenchristen geht, für die er sein Evangelium geschrieben hat. Wenn sie ihn befragen, was es denn mit Jesus auf sich hat, worin seine Bedeutung liegt, was das Besondere an ihm ist, dann lesen sie, was er damals den Griechen in Jerusalem gesagt hat: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Und wenn sie das Evangelium dann bis zum Ende gelesen haben, dann wissen sie, dass Jesus das von sich sagt: Er muss sterben, damit er sich vervielfältigen kann. Damit er zum Beispiel hier und heute mitten unter uns sein kann. Jesus wusste, dass er bestimmt war, zu leben um sterben. Und dazu, zu sterben, um zu leben. Sie erfahren dann aber auch, dass Jesus das nicht nur von sich sagt, sondern auch von ihnen. Auch sie sind dazu bestimmt, zu leben um zu sterben. Auch sie sollen ihr Leben loslassen, um es zu gewinnen, sollen sich selbst loslassen, um sich selbst zu gewinnen. Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt… (gering schätzt, preisgibt, loslässt), der wird‘s bewahren zum ewigen Leben. Sein eigenes Leben nicht festzuhalten, sondern sich selbst loszulassen, so könnte man das Geheimnis eines Christenlebens beschreiben. Das Geheimnis besteht darin, dass beide, Christus und seine Dienerinnen und Diener zusammen das Weizenkorn bilden, das stirbt, um Frucht zu bringen.

Es mag ein Widerspruch ein, aber sein Leben preiszugeben, loszulassen, zu „hassen“, wie es im Text der Lutherbibel wörtlich heißt, führt dann gerne zum genauen Gegenteil, nämlich zu einem Leben, dass sich als besonders lebenswert erweist. Manfred Rekowski, der heute aus seinem Amt als Präses der Rheinischen Kirche verabschiedet wird, hat das gelegentlich auf die Formel gebracht: „Gut leben und getrost sterben“. Beides gehört zusammen und sind zwei Seiten derselben Sache. Wer sich selbst loslassen kann, erfährt und erlebt Gelassenheit, er ruht in sich selbst oder er ist, wie man es heute gerne beschreibt, „tiefenentspannt“. Und genau das ist es, was auf andere einwirkt und sie beeindruckt. Vielleicht war es die Gelassenheit und Entspanntheit, die Abwesenheit von Hektik, Stress, Anspannung und Verkrampftheit, mit der die Christen auf sich aufmerksam machten und überzeugten. Wir predigen ja nicht nur mit Worten, wir strahlen auch aus, was wir glauben und wovon wir nicht schweigen können und wollen. Anders geht es gar nicht.

Das Leben und Sterben Jesu wie auch unser Leben und Sterben, sich selbst loszulassen, um sich selbst zu gewinnen, am eigenen Leben nicht festzuhalten und zu erleben, dass ein andere uns festhält, das gehört zusammen. Das Weizenkorn stirbt und bringt Frucht. Die Frucht nimmt in seinen Dienerinnen und Dienern Gestalt an. Christus ist mitten und durch sie gegenwärtig, die sie mit ihm und für ihn leben und sterben. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

Die Griechen – sowohl die, die ihn damals in Jerusalem persönlich wie auch diejenigen, die sein Evangelium als erste gelesen haben – werden das vielleicht nicht gleich beim ersten Hören oder Lesen verstanden haben. Aber sie haben das Wort vom Weizenkorn, das in die Erde fällt, auch nicht vergessen. Es ist zum Bild geworden, das ihnen half und hilft, Jesus zu verstehen. Und den eigenen Glauben.

 

Pfr. Stephan Sticherling

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