Predigt zum Christfest

Predigt über 1Johannes 3,1–6
I)  Gottes Kinder

Dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Liebe Schwestern und Brüder, was das wohl heißt: ein Gotteskind sein? Heißt es: ein Kind sein? Ein Kind: das sich einfach mit einem Buch in die Ecke setzen kann oder neben den Christbaum mit seinen neuen Bausteinen – und die Welt um sich herum vergessen. Ein Kind sein: das seinen Eltern beim Plätzchenbacken helfen darf und das sich zu ihnen ins Bett verkriechen kann, wenn die bösen Träume kommen. Ein Kind: das neugierig ist auf die Welt und tausend Fragen hat – und ist noch weit davon entfernt, viele Dinge zu verstehen, und ist auch von manchen erwachsenen Sorgen noch verschont.

Kinder brauchen Eltern. Wir Gotteskinder auch: Wir brauchen den Vater im Himmel. Und Kinder sind ihren Eltern ähnlich, erstaunlich ähnlich. Sie schmunzeln vielleicht, wenn Sie an den Fünfjährigen von Ihren Nachbarn denken – die gleiche Betonung in den Sätzen wie bei seiner Mutter, die gleiche Handbewegung, die sein Vater immer macht, wenn er ins Erzählen kommt. Die gleichen Schimpfwörter sogar, denn der Bub hat bessere Ohren, als seine Eltern vermuten.

So sind wir Gotteskinder: Gott ähnlich. Und sollen ihm immer ähnlicher werden. Es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein […] Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich, wie auch jener rein ist.

 

II) Krippe

Ein Kind sein: „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.“ So wird Gottes Sohn ein Menschenkind. Ein Säugling, der gefüttert werden will und dem man die Windeln wechseln muss. Ein Bub, der lesen und schreiben lernen wird – und wird bei Josef das Zimmermanns-Handwerk lernen. Ein junger Mann, der gern mit andern zusammen sitzt und isst und trinkt – und der oft die Stille sucht und das Gebet. Geduldig mit den Hilfesuchenden und den Verlorenen, unduldsam und stürmisch mit den Rechthabern und den Selbstgerechten. So ist Christus mitten unter den Menschen – und bleibt ihnen trotzdem oft fremd. Gottes Sohn wird ein Menschenkind, ein sterbliches. Das Holz der Krippe ist hart wie das Holz des Kreuzes.

Kinder sind ihren Eltern ähnlich. Christus ist: wie der Vater, ganz wie der Vater im Himmel. Das Kind in der Krippe sehen, heißt: Gott sehen. Holder Knabe im lockigen Haar, freilich: anrührend und tröstlich und auch niedlich und süß, mit göttlichem Glanz – aber nicht nur! Das Kind in der Krippe sehen, heißt: den himmlischen Vater sehen, aber da müssen wir die Krippensüßlichkeit beiseite schieben und Christus ganz anschauen, von den ungehobelten Krippenbrettern bis zu den Kreuzesbalken.

Dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Ein Gotteskind sein, weil Gottes Sohn ein Menschenkind geworden ist. Dem himmlischen Vater immer ähnlicher werden, heißt: Christus immer ähnlicher werden.

 

III) Pubertät

Manchmal, liebe Schwestern und Brüder, könnte man freilich denken, die Menschheit sei in der Pubertät. Das ist die Zeit, wo bekanntlich die Eltern schwierig werden. Wo man mit den Augen rollt, wenn Mutter den Mund aufmacht. Wo man sich nicht mehr wie ein kleines Kind behandeln lässt. Wo man anfängt, die Regeln neu zu verhandeln. Was darf ich anziehen, was nicht? Um wie viel Uhr ist Schluss mit Internet? Wie lange darf ich abends wegbleiben? Und ich darf ehrlich das ganze Weihnachts-Festessen über nicht auf mein Handy schauen? Nicht im Ernst, oder?

So geht’s manchen Gotteskindern, denen der himmlische Vater schwierig geworden ist. Versuchen nicht die Menschen ständig, seine Regeln neu zu verhandeln? Die Schwerkraft vielleicht noch nicht, und „Du sollst nicht töten“ auch nicht, aber „Du sollst nicht ehebrechen“ – darüber müsste man doch mal reden, oder? So waren Menschen schon immer, und so schnell wird sich das auch nicht ändern.

Aber auch wer über seine Eltern die Augen rollt, wird später merken, wie ähnlich er ihnen ist. Kinder sind nun mal in vielen Dingen wie ihre Eltern, im Guten wie im Schlechten – und manch einer scheint noch mit Mitte sechzig immer mehr zu werden wie sein schon verstorbener Vater.

So wird eines Tages auch die Pubertät der Gotteskinder ein Ende haben. Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.

 

IV) Keinen Raum in der Herberge

Während also Gottes Schöpfung noch durch ihre Trotzphase geht, sollen wir Christenmenschen, wir Gotteskinder, Gott immer ähnlicher werden – und das heißt: Christus immer ähnlicher werden.

Nicht dass wir wundertätig durch Palästina ziehen oder selber die Welt erlösen sollten. Wir tragen nicht sein Kreuz, aber doch unseres, wo er uns eines auflegt. Wir fragen nach seinem Plan für unser Leben und kommen zu ihm mit unserem Gebet. Wir suchen Gottes Wort und wollen es mehr und mehr verstehen. Wir gehen zum Abendmahl, essen Christi Leib und Blut, nehmen Christus in uns auf. Und wir sehen die Menschen um uns herum und versuchen, in ihnen Christus zu sehen: auch sie sind Gottes Kinder, auch in ihnen ist eine Christus-Ähnlichkeit verborgen, und sie können uns helfen, ihm ähnlicher zu werden – auch dann, wenn sie uns Mühe machen!

Wenn wir so nach Christus fragen, dann geht’s uns manches mal so, dass wir auch keinen Raum in der Herberge haben. Es ist ja schon manchmal schwer verständlich zu machen, wenn wir das Weihnachtsfest wirklich als Christfest begehen. Darum erkennt uns die Welt nicht, denn sie hat ihn nicht erkannt.

Die Gotteskinder, selbst wenn sie mit beiden Beinen im Leben stehen – die Gotteskinder bleiben doch fremd in der Welt. Denn sie haben schon eine Ahnung von der völlig unbegreiflichen Liebe Gottes.

 

V) Sünden wegnehmen

Gottes Sohn wird ein Menschenkind, damit wir Gottes Kinder werden. Ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Schon klar, liebe Schwestern und Brüder, niemand will an Weihnachten viel von der Sünde hören. Aber wer nur ein bisschen mitbekommt, was in den Häusern und in den Familien in diesen Tagen so los ist – der weiß, dass zwischen den Menschen noch lange nicht alles in Ordnung ist, und an Weihnachten schon gar nicht. Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden, auch wir Gotteskinder sind noch lange nicht so, wie wir gern wären oder wie Gott uns gedacht hat. Und manchmal sind gerade die, die am meisten wie Christus sein wollen, am weitesten davon weg – wenn sie sich auf sich selbst verlassen und auf ihre eigene Kraft und Klugheit, und nicht auf ihn. Ja, wir werden ihm gleich sein, wenn der Tag kommt. Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, reinigt sich, wie auch jener rein ist. Aber Christus ist nicht erschienen, dass wir die Sünden ablegen, sondern dass er sie wegnehme – und wir lassen es an uns geschehen.

Liebe Schwestern und Brüder, was das wohl heißt: ein Gotteskind sein? Es heißt dann wirklich: wie ein Kind werden. Wie das Kind in der Krippe gar nichts selber kann, sondern muss sich füttern lassen und wickeln und tragen. Wie ein Kind werden, das sein Brot nicht selber verdienen muss und das die Welt einfach eine Zeit vergessen darf, weil in der Krippe das schönste Geschenk liegt. Wie ein Kind werden, das seinen Eltern beim Plätzchenbacken helfen darf – und wenn die bösen Träume kommen, darf es sich zu ihnen ins Bett verkriechen. Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch!

Pfr. Florian Herrmann

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