„Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal“
(Ev. Gesangbuch 7, Vers 4)
Gnade und Friede sei mit Euch von Gott, dem Vater unsers HERRN Jesu Christi, dem Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes. Amen
Liebe Schwestern und Brüder,
In den letzten Wochen hat mich diese Liedstrophe begleitet.
Auf der Suche nach Trost für Andere und letztendlich natürlich auch für mich selber.
Bei der Begegnung mit trostlosen Nachrichten und Ereignissen.
Ich war zum Beispiel ungewöhnlich oft auf dem Friedhof und musste vertraute Menschen beerdigen, Angehörigen zuhören, und – meißtens unter freiem Himmel in Novemberstimmung vom Trost sprechen.
Aber das ist ja eine der Hauptaufgaben als Pfarrer, eine Aufgabe, auf die hin ich ordiniert worden bin: „Du sollst dazu beitragen, das Menschen in ihrem Glauben dankbar leben und getröstet sterben können.“
Wo bleibt der Trost? Wo kann man hin in der Trostlosigkeit?
Viele Menschen sehnen sich nach Erleichterung, suchen Hoffnung und klammern sich an die neuesten Nachrichten:
Horoskopartig werden die Zahlen und Werte verfolgt und verglichen.
Hoffnungsvoll hören wir fast schon mit adventlichem Klang:
“Bald wird er kommen” – der Impfstoff”
Messianisch werden die Namen der Firmen gehandelt, die angeblich soweit sind.
Bald, nur noch ein wenig Geduld. Scheibchenweise Informationen, Maßnahmen über Maßnahmen und nicht gerade trostbringende Aussichten auf Weihnachten und das kommende Jahr. Dann, ja dann, was dann und danach? Und dann?
Habt noch ein wenig Geduld, sagen sie. Die Politiker, die Fachleute, ja was sollen sie denn auch sagen?
Wie wenig konnten wir vor einem Jahr voraussagen und ahnen, was ein Jahr später auf uns zukommen würde.
Heute ist der dritte Advent.
Es ist der dritte Schritt, die dritte Station auf diesem Weg des neuen Kirchenjahres.
Es ist der Sonntag des Aufbruches. Die Mühseligen und Beladenen werden durch den Wochenspruch aufgerufen, den Weg zu bereiten für Gott. Aufräumen, Entrümpeln, Wegwerfen, das Wesentliche in den Blick nehmen.
Aber warum und wie können wir aufbrechen, Gott den Weg bereiten?
Sehnsucht und Klage durchzieht doch immer noch die Tage und ist nicht richtig auszulöschen durch die Lichter des Advent.
Paradox – nicht wahr? Das Licht kann das Dunkle nicht auslöschen… welch eine Erfahrung, die wir in dieser Zeit machen!
Bereitet dem Herrn den Weg, denn er kommt.
Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.
Das sind erste kurze tastende aber prägnante Antworten des Glaubens auf die Frage, die Friedrich Spee so treffend formulierte:
Wo bleibst Du Trost der ganzen Welt?
Gott kommt, oder wie die Rheinländer sagen: “Gott is am Kommen dran”
Das klingt irgendwie etwas praktischer und handfester.
Es gibt Anzeichen, kosmische Veränderungen:
Die Evangelien sprechen davon, dass Grundfesten ins Wanken geraten.
Klimaveränderungen, bedenkliche politisch – autoritäre Entwicklungen, Spaltungen und Aggressionen, ja in der Tat, das alles sind sorgenvolle Tendenzen.
Die Predigttexte rufen zur Geduld, wie am letzten Sonntag das Beispiel des Bauern, der im Moment nichts sieht von seiner ganzen Arbeit, sondern einfach warten muss.
Und es gibt die Stimme der klagenden Sehnsucht, wie es Friedrich Spee in seinem Adventlied ausdrückt. Wo bleibst Du Trost der ganzen Welt?
Alleine wenn wir dieses Lied singen und laut werden lassen, bekennen wir, dass wir uns nicht einfach abfinden mit der wankenden und schwankenden Welt, oder einfach nur warten auf ein besseres Jenseits. Im Gegenteil, das Lied schenkt uns einen Realitätsgewinn.
Es ist entstanden im Chaos des 30 Jährigen Krieges, und benutzt eine bemerkenswerte Klarheit, ungeschminkte Bilder und eine deutliche Sprache.
Damals gab es noch kein Corona – Virus.
Aber es gab schon den Virus der Abgrenzung und Rechthaberei. Oder die von Menschen gemachten Viren der Angstmacherei vor einem kommenden Gericht, mit einem Gottesbild voller Projektionen und Übertragungen.
Auf einem Plakat in Essen – so wurde mir berichtet – steht geschrieben:
“Der Homo Sapiens ist der gefährlichste Virus den es gibt”
Willkommen bei Paulus, der feststellte: “Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich” (Römer 7, Vers 19)
Willkommen bei Luther, der dieser Frage nach dem freien Willen des Menschen in der Tiefe nachging:
Er kam zu dem bekannten Ergebnis: “Mit unserer Macht ist nichts getan”.
Aber: Denken wir noch mal an den Bauern. Wenn wir uns hineinversetzen in seine Saat, in die Samen, die in der kalten Erde ruhen, dann sind es im Advent vier Wochen der Entwicklung.
Es sind quasi vier Stufen eines Glaubensweges, die wir in den Wochensprüchen vom ersten bis zum vierten Advent nachverfolgen können:
- Da ist der Weckruf: Siehe, dein König kommt zu dir. Ein Paukenschlag.
- Da ist das Trostwort: Seht auf und erhebt eure Häupter. Trost für die Beladenen.
- Da ist der Anstoß: Bereitet dem Herrn den Weg. Handlungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit gewinnen.
- Da ist das Recht zur Freude: Freut euch im Herrn alle Wege. Inmitten allen Frustes des Jahres auch sehen, was gut war, was gelungen ist, was geklappt hat.
Vier Schritte im Advent
Das ist der Plan. Das ist der Weg.
Und wieder ein Aber:
Da stehen vier Kerzen, da stehen vier Antworten, Bibelsprüche.
Auf welche Frage aber antworten sie?
Vor einiger Zeit war es für viele Menschen die Frage nach Heimat und Glück.
Es wurden Stabstellen und Ministerien gebildet.
Zum Beispiel das Ministerium für Glück und Wohlbefinden (MfG) als studentisches Projekt an der Universität Mannheim im Fach “Gestaltung”.
Zum Beispiel das Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat, oder in Bayern für Finanzen und Heimat, in Nordrhein Westfalen für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung.
Was für interessante Kombinationen sind das.
Aber heute geht es um Trost.
In diesem Jahr und heute am dritten Advent geht es um die praktische und zugleich geistlich – theologische Frage nach Trost und Perspektive für die Zukunft.
Trost für die Menschen, die Angehörige, Freundinnen, Freunde verloren haben.
Für die vielen Erkrankten und Helfenden.
Trost, weil so viel Trostloses passiert ist.
Wer ist dafür zuständig?
Wo bleibst Du Trost der ganzen Welt?
Auffällig ist, das dies eins der wenigen Lieder ist, das diese Frage formuliert.
Wo bleibst Du, wann kommst Du, wie finde ich Dich, die Stimme des Trostes?
Es ist eine Frage des Glaubens, der in Gott das “Du” gefunden hat.
Aber es ist auch der Hinweis der Spötter und Zweifler:
„Wo bleibt er denn nun Dein Gott“ so rufen sie Jesus am Kreuz zu.
Es ist die hämische Stimme des Versuchers bei Jesus in der Wüste.
Die müde Stimme des Propheten, der erschöpft und ausgebrannt ist.
Elia nach seinem Lebenskampf für Gott, für den wahren Glauben.
Er kann nicht mehr und will nicht mehr.
Er hat es kaum gemerkt, wie er sich verausgabt hat.
Vielleicht hat er sogar – wie Hiob – gar nicht mehr die Kraft nach dem Trost zu fragen.
Wo können wir suchen?
Wo fangen wir denn dann mal an zu suchen nach dem Trost?
„Dr. Google“, den ich oft um Rat frage verweist mich als erstes auf eine Autoreparaturwerkstatt „Trost“ in Frechen.
Und wo ist die Werkstatt für die Seele?
Amazon: ich suche weiter.
Vielleicht kann man ja Trost bestellen – direkt nach Hause: Wie viel hätten Sie denn gerne?
Es wird angeboten:
- Art und emotions Glücksbringer – auch als Schlüsselanhänger
- Das Pflanzengefäß Herz – unvergessene Pflanzschalen
- Und dann das erste Buch: Trost, Wege aus der Verlorenheit
- Dann das Orakelset, ein Prime Video von James Bond, und ein Schutzengelarmband.
Lieferzeit 2-3 Tage: Und wenn ich nicht so lange warten kann?
So richtig hilft mir das auch nicht weiter.
Und dann die vielen Bücher, Ratgeber, Plakte wie “Ich liebe Dich – Gott”
All das sind Behauptungen, dass es Trost gibt, und das er eine ausgewiesen materielle Komponente hat.
Das Angebot an Trostratgebern ist groß. Das Angebot oberflächlicher Vertröstung wirkt verstörend.
Dann schaue ich durch das Gesangbuch:
Die meisten Lieder reden wie selbstverständlich vom Trost, behauptend, präsentisch, bekennend aber natürlich auch respektvoll, gleichsam angewiesen und bedürftig.
Und dabei mache ich eine wichtige Entdeckung: Der ersehnte Trost scheint weniger eine in sich geschlossene Gabe zu sein, sondern erweist sich in einem Prozess der Vermischung, der Aneignung, Unterweisung, vielleicht sogar durch geduldiges Üben.
Wir müssen also heute an diesem Sonntag nicht die fertige Antwort haben oder aus der Heiligen Schrift, oder den geistlichen Lieder heraussaugen.
Im Gegenteil: vielleicht müssen wir erst einmal jede und jeder von uns persönlich zu der Frage kommen, die 400 Jahre nach Friedrich Spee viele Variationen kennt.
Seine Frage ist mehr als aktuell und das nicht zur Corona – Zeit.
Zu der Frage nach dem Trost noch zwei Erfahrungen, die mir im Laufe des Jahres begegneten:
Zum Beispiel die Frau, die genug hatte von aller schnellen Trösterei in den Videos und Streamingangeboten der Kirchen im Frühjahr.[1]
Oder die Erfahrung der Vertröstung. Henning Luther ein evangelischer Theologe, dem selber nur eine kurze Lebenszeit vergönnt war , schrieb den bemerkenswerten Aufsatz “Die Lügen der Tröster”.[2]
Er verweist darauf, dass gerade nicht der schnelle Trost, sondern das gemeinsame Aushalten einer schweren Situation sehr viel trostvoller sein kann.
Wo bleibst Du Trost der ganzen Welt?
Er ist schon gesäät t in der durchwühlten Lebenserde dieses Jahres.
Er liegt mit verborgen in der Erde, wenn wir unsere Verstorbenen in diese zurücklegen müssen.
Er kann wachsen aus der Ohnmacht des Wartens, der ungeduldigen Sehnsucht.
Sie ist so stark und mächtig, die Sehnsucht nach Trost! Sie kann Wege bereiten, Hindernisse aus dem Weg fegen, sie ist nachhaltig, vital und bewegend, wie ein starker und warmer Kraftstrom in unseren Adern.
Liebe Schwestern und Brüder,
In diesem Jahre ist Advent viel mehr „Adventure“ als sonst.
Eine fast abenteuerliche Achterbahnfahrt der Gefühle.
Wir sollen sie hören, die Botschaft, das Gott auf dem Weg zu uns ist: Das Sehnsucht uns nicht schwach macht, sondern stark! Das er kommt zum zu trösten, zu verändern und die Vertröstungen zu entlarven.
Denken wir noch mal an den Bauern.
Da sind vier Wochen des Adventes.
Wenn wir uns hineinversetzen in seine Saat, in die Samen, die in der kalten Erde ruhen, dann sind es vier Wochen der Entwicklung.
Vier Phasen des Wachsens!
Wir sind mitten drin.
Wir haben einen großen Vorrat an Trost durch unsere biblischen Vorbilder des Glaubens und die wunderbaren Lieder und Kompositionen, die meistens in sehr kargen und trostlosen Zeiten entstanden sind.
Wir sind mitten drin in den Veränderungen Gottes:
Bereiten wir ihm den Weg mit unserer Sehnsucht, und mit beherztem Handeln als Wegbereiter.
Im Dezemberdunkel
tappe ich
meiner Sehnsucht hinterher.
So oft schon
ins Leere gefasst.
Durch Löcher gestolpert.
An dornigen Zweigen mir
das Hoffnungskleid zerrissen.
Da schweift am Horizont
ein Stern.
Als suche jemand die Erde ab.
Als hoffe er, im Lichtkegel
einen Verlorenen zu entdecken.
Einer hat sich
auf den Weg gemacht
zu mir.[3]
Amen
Superintendent Frank Weber
[1] In vielen Beiträgen berichtete zum Beispiel die Zeitschrift „Zeitzeichen“ von diesen Erfahrungen
[2] https://de.scribd.com/document/162072844/Henning-Luther-Die-Lugen-der-Troster (zuletzt Zugriff 09.12.2020)
[3] Das Gebet habe ich gefunden bei Tina Willms in öffentlichem Zugang im Netz