Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis

Predigtreihe III, Röm 10, 9-18

Verehrte, liebe Schwestern und Brüder in Christus,

es war in einem Dresdner Theater kurz vor dem Ende der DDR-Diktatur. Ein Theaterstück, das eine einfache fast banale Lebensgeschichte erzählte, war gerade beendet worden und die Künstler verneigten sich vor dem applaudierenden Publikum. Der Applaus war jedoch nicht so eindeutig wie man von äußerer Betrachtung her zu meinen glaubte, denn die einen applaudierten den Schauspielern aus Anstand, während die anderen die sorgfältig in Dialogen und Nebensätzen versteckte Kritik am DDR-System wahrgenommen hatten und nun dem Mut der Künstler Anerkennung zollten. Wie auch immer, die erzählte Geschichte war bald vergessen, die versteckte Kritik breitete sich jedoch aus, denn sie würde nun als die Botschaft des Theaterstückes an Freunde und Bekannte weitergegeben. Es war gesagt, was gesagt werden musste – die es verstehen wollten, haben es verstanden.

Was hören wir heraus, wenn wir den heutigen Predigttext wahrnehmen? Ist es die Verheißung, dass du gerettet wirst, wenn du glaubend bekennst, wenn du von Herzen glaubst; dass du selig wirst, wenn du den Namen des Herrn anrufst? Die Verheißung hört sich gut an, wenn nicht der zweite Teil des Brieftextes wäre – eine Infragestellung oder gar große Klage.

Nun, wer aber hört hier nicht im Hintergrund Johann Wolfgang von Goethe sagen „Die Botschaft hör ich wohl, allein es fehlt mir der Glaube.“ Und somit hallt die große Problemanzeige im zweiten Teil des Briefabschnittes aus dem Römerbrief des Apostels nach. Wo sind die Prediger, die Gesandten, wo sind die Predigten, die Glaube ermöglichen? Fehlt es an Predigern, oder fehlts an guter Predigt? – Kann dies als Verweis auf die Glaubenskrise unserer Kirche gedeutet werden oder haben die Religionspädagogen recht, wenn sie sagen: „Glaube kann man nicht lernen, er geschieht.“? Nun ja, was ist eine Verheißung wert ohne leidenschaftliche Botschafter; eine Kirche ohne Prediger und Gemeinde, ein Wahlprogramm ohne Wähler, eine Zeitung ohne Leser, ein YouTube-Kanal ohne Follower?

Und da ist dieser nicht zu überhörende Vorwurf gegen Israel, dass es der Botschaft nicht folgen will. Übertrage ich das schon mal vorsorglich auf alle, die sonntäglich nicht in der Kirche erscheinen und die Predigt hören und auch auf die, „die einfach nicht hören wollen“?

Aber die Botschaft des Paulus ist womöglich keine Problemanzeige und gar kein Vorwurf, sondern eine Aufforderung und Ermunterung zum Predigen. Wer das Problem aus dem Text heraushört, darf auch die Lösung heraushören. Das Erlösende und für jeden Verständliche findet sich am Ende: „Der Glaube kommt aus der Predigt und das Predigen aus dem Wort Christi!“ – oder können wir analog zum Prolog des Johannesevangeliums sagen: „Am Anfang ist immer das Wort“? Das Wort, das Gottes Wirklichkeit in und durch die Welt hindurch beschreibt, sie ausspricht, benennt, lobt und klagt. Es ist das erklärende Wort, das erzählende, das lyrische Wort, das gesungene und klangvolle Wort, in dem Gott durch des Menschen Mund zum Sprechen kommt, als Teil des Lebensatems, der uns Menschen von Gott verliehen ist.

Und das Wort Christi, aus dem die Predigt kommt? Ist es ein anderes Wort als das Wort Gottes? Es ist die Fortsetzung des Redens Gottes, das konkrete Sprechen in konkreten Situationen, es ist Ausspruch der Liebe Gottes und Einspruch gegen das, was Leben zerstört. Es ist also ein Zusprechen, miteinander Klagen und einander Trösten, Ermuntern, Verstehen, Loben und Bekennen, des einen Menschen mit dem anderen Menschen, dessen, der sein Leben mit dem anderen teilt und dabei Gottes Gegenwart nicht verschweigt.

Es muss gesagt werden, es ist gesagt und es wird immer wieder neu gesagt, dass Gott sein JA zum Leben gegeben hat, so wie es Liebende tun, und es ein Leben lang tun müssen, damit die Liebe nicht aufhört. In Christus begegnet uns dieses Ja seiner Liebe mitten im Leben. Wir dürfen es uns zusagen, und wir müssen es uns immer wieder neu zusprechen. Das ist unser priesterlicher Auftrag als Getaufte.

„Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen …“ so schreibt es der Apostel an die Gemeinde in Kolossä (3,16). Ist damit die Menge der Wiederholungen gemeint, eher indoktrinär, oder doch viel mehr die Menge der Möglichkeiten von Predigtformen? Es ist nicht nur das Reden, das Gottes Gegenwart im Hier und Jetzt, in Christus verkündet, sondern auch das Schweigen, wenn darin das Hören auf das Wort zum Ausdruck kommt, ebenso es ist auch der Klang der Musik, die den Himmel öffnet unter dem der Mensch Kraft schöpfen kann und das Fest des Lebens seinen besonderen Ausdruck und Rahmen erhält. Auch das Klingen der Natur, der Schöpfung, in der sich das Geschöpf als Lebendiges zu erkennen gibt, ist recht verstanden Predigt des lebendigen Gottes. Es predigt alles – man muss es eben nur heraushören. Und manche oder mancher ruft antwortend: „Ja, ich selbst bin ein Prediger unter Predigern.“ Es fehlt demnach nicht an Predigern, vielleicht mehr an Hörern. Aber dem ist auch vorgebeugt. Damit ein jeder doch auf diese oder jene Weise erreicht wird, wirkt der vielfältige Klang und das Sagen des Wortes Gottes wie ein gutes Virus, das ständig mutiert und uns ständig neu mit Glaubensgewissheit infiziert, damit aus Resignation Hoffnung wird, dass sich der Blick von Lebensangst zur Zuversicht wendet, dass wir immer wieder neu Vertrauen zueinander wagen. Manchmal bedarf es einer Lebenssituation, eines bestimmten Augenblickes, eines Gemisches aus allem, dass es seine Wirkung entfaltet. Gerade in dieser spannungsgeladenen Zeit erfahre ich, wie biblische Texte ganz neu anfangen in die aktuelle Situation hinein zu sprechen. Darüber kann ich nur staunen und dafür bin ich meinem Gott so dankbar!

Es ist also gesagt und es muss wieder und wieder gesagt werden, damit wir hören, ein jeder auf seine Weise, und eine jede und ein jeder das, was ihn im Glauben bestärkt und voranbringt, dem einen zur Bestätigung und dem anderen zur Ermunterung, auf dass die Saat aufgeht, die uns die Botschaft des Himmels erkennen, verstehen und im Herzen spüren lässt. Und wer es gehört hat, der wird selbst zur Botschafterin, zum „Freudenboten, der das Gute verkündigt.“ – denn wer will nicht die Freude am Leben, die Erfüllung der Verheißung ist, mit den anderen teilen?

Daher zum Schluss, und dies mit den Worten des Apostels, der wiederum den Psalmbeter zitiert: „Haben wir es (das Wort Gottes, die Predigt Christi) nicht gehört? Doch, es ist ja in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt.!“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus, Jesus. Amen.

 

Pfr. Dirk Vogel, EMB, Konvent Mitte-Ost

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