Predigt über Psalm 85

Sich küssen
Liebe Schwestern und Brüder, mitten in Bayreuth, wo die Fußgängerzone einen Knick macht und man über eine Brücke zu dem großen Einkaufszentrum gehen kann – mitten in Bayreuth steht die Spitalkirche. Von außen diskreter fränkischer Sandstein. Und wenn man hineingeht: feiner lutherischer Barock. Vornehmer Deckenstuck mit christlichen Symbolen. Hübsche Gemälde an der Decke und rings an den Emporen mit Szenen aus der Bibel. Gar nicht viele von den kleinen Engelchen, die in barocken Kirchen sonst überall sind.

Die Kirche ist so breit wie lang, und vorne in der Mitte eine prächtige Kanzel genau über dem Altar, mit vier stolzen crèmefarbenen Säulen und vielen goldenen Schnörkeln, und obendrüber sitzt die Orgel. Und vorne an der Kanzel, genau dort, wo der Prediger sein Buch hinlegt, sind eben doch zwei Engelchen – und geben sich ein Küsschen.

Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen. Zwei- oder dreimal habe ich in dieser Kirche gepredigt. Und meine Predigthörer hatten immer vor Augen: den Kuss von Gerechtigkeit und Frieden.

 

Gerechtigkeit und Friede
Gerechtigkeit und Friede in meinem Leben – ein Engelsbusserl?
Oder wie schaut das eigentlich aus? Zwei Tassen auf unserm Esstisch im Pfarrhaus, und in beiden muss genau gleich viel Kakao sein. In dieser Ferienwoche hatten wir nämlich: unser Pfarrhaus voller Kinder. Freunde und Verwandtschaft waren zu Besuch, erst die einen, dann die andern, und immer waren Kinder dabei im Grundschul- und Kindergartenalter.

Da ist also endlich mal Leben im Haus und: die Frage nach der Gerechtigkeit. Wenn die noch Schokolade darf, will ich auch! Der hat den Liegestuhl schon soo lange gehabt, jetzt bin ich dran! Warum darf die länger aufbleiben? Das ist gemein! Und auf jeden Fall: gleich viel Kakao in den Tassen.

Da wird uns kinderlosen Pfarrersleuten wieder recht vor Augen geführt, dass Gerechtigkeit ein anstrengendes Geschäft ist. Alle sollen gerecht bedacht werden, keines bevorzugt, trotzdem den Älteren schon eingeräumt, was die Kleinen noch dürfen.

Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen. Gerechtigkeit ist anspruchsvoll, und Friede ist es auch. Schnell versöhnt sind die Geschwister, und zehn Minuten später sitzen wir wieder auf dem Pulverfass.

So ist das, wo Geschwister beieinander sind. Und zugegeben, wenn wir aus dem Grundschulalter raus sind und sind mal vierzehn oder vierzig oder älter noch – Gerechtigkeit und Friede sind immer noch anstrengend und immer noch anspruchsvoll.

 

Friedensdekade
Liebe Schwestern und Brüder, vor wenigen Jahren hat die evangelische Kirche überprüft und überarbeitet, welche Bibelstellen wir Sonntag für Sonntag im Gottesdienst vorlesen. Und da hat der heutige Sonntag, der drittletzte im Kirchenjahr – da hat der ein etwas neues Profil bekommen: ein Friedenssonntag. Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Friede ist seit Jahrzehnten ein Thema in der evangelischen Kirche, und es hat immer enge Verbindungen gegeben zwischen Friedensbewegung und Protestantismus. Ostermärsche seit sechzig Jahren, Demos gegen Pershing-Raketen vor vierzig Jahren, gegen den Irakkrieg vor zwanzig Jahren, und heute gibt es gewiss nicht weniger Krieg auf der Welt als früher.

Wie wird Friede? Da gibt es im Luthertum schon immer zwei sehr verschiedene Antworten. Es gibt Menschen, die leben den Pazifismus vor. Die schlagen nicht zurück. Die beleidigen nicht zurück. Die strahlen Frieden aus, dass es ansteckend ist. Nicht einfach, so was! Selig sind, die Frieden stiften! Und manche von ihnen wünschen sich, dass unser ganzes Land und unsere ganze Kirche so lebt. Können wir auf eine Armee nicht verzichten, der Welt als Friedensbeispiel vorangehen?

Und die andere Stimme im Luthertum? Die hat das immer für naiv gehalten. Solange Menschen Böses tun, solange muss auch die Gesellschaft ihnen Einhalt gebieten können, notfalls mit Gewalt. Wie man früher sagte: solange Menschen Böses tun, solange braucht die Gesellschaft das Schwert. Freilich, das ist auch anspruchsvoll. Denn wer das Schwert führt, der muss sich selbst beherrschen, muss jeden persönlichen Ärger zurückstellen, muss sich mäßigen, wie er nur kann.

Vielleicht geht in dieser Welt nur beides zusammen: persönlich friedliebend sein und das „Schwert“ mit größter Selbstbeherrschung gebrauchen.

Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen. Das ist bei Kindern schon kein reines Engelsbusserl, da braucht’s Standvermögen und braucht’s Klarheit und gutes Vorbild. Und so ist es auch in der Welt der Erwachsenen. Gerechtigkeit und Friede brauchen Standvermögen und Klarheit. Und das Vorbild der Gerechten und der Friedensstifter.

 

Könnte ich doch
Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet, steht in meiner Lutherbibel. Da müsste man aus dem Hebräischen eigentlich anders und viel zuversichtlicher übersetzen: Ich will hören, was Gott der Herr redet, dass er Frieden redet! Ja, so redet er, ich will hinhören, ich will’s weitererzählen, alle sollen es hören, alle soll’s anstecken: er redet Frieden!

Trotzdem steckt auch viel Wahrheit in dem, wie Luther hier übersetzt: Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet, dass er Frieden zusagte. Könnte ich doch! Aber ich hör so wenig vom Frieden. Und was Gott vom Frieden redet, ist so leise im Waffenklirren der Welt. Könnte ich doch, es bleiben Gerechtigkeit und Friede ein Sehnsuchtsthema, oft genug.

 

Rorate
Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen – dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue.

Liebe Schwestern und Brüder: dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue – in dieser Zeile ist ein Advents-Klang versteckt. Es gibt einen uralten Adventsgesang: Träufelt, ihr Himmel von oben, rorate cæli, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf! Regnet herab den Gerechten. Sprosse den Heiland hervor!

Das ist nämlich unsere Adventsbotschaft. Gott träufelt nicht einfach eine abstrakte Gerechtigkeit auf die Erde. Er bringt uns den Gerechten. Er bringt uns seinen Sohn. Jesus Christus. Den Friedensstifter, auf den die Welt wartet. Er ist unser Friede.

Er kann heilen. Kann versöhnen. Er kann zurecht bringen, was wir nicht recht machen. Am Familienesstisch und Klassenzimmer und im Parlament und im Amtsgericht.

Auch mit ihm ist das: kein reines Engelsküsschen, die Krippe ist hart und das Kreuz ist hart, und was Jesus den Leuten sagt, ist wirklich anspruchsvoll. Ihm nachfolgen ist anstrengend.

Aber: er ist unser Friede. In ihm ist Gerechtigkeit und Versöhnung und Heilung und Trost.

 

Spitalkirche
Liebe Schwestern und Brüder, in Bayreuth hat diese Predigt begonnen. In der Spitalkirche mit ihren küssenden Engelchen an der Kanzel.

Diese Kirche hat eine besondere Geschichte. Hier trafen sich unter den Nazis die sogenannten Deutschen Christen. Also Evangelische, die mit Begeisterung Nazis waren. Die Hitler mindestens so gut fanden wie Jesus. Die vom Alten Testament jedenfalls nichts wissen wollten. Die Kriegsbegeisterten. Die konnten sich da treffen, weil dieses Gotteshaus der Stadt gehörte und nicht der Kirche.

Da saßen sie also unter den beiden küssenden Engeln und hörten ihre kriegsbegeisterten Predigten, die Jesu Botschaft auf den Kopf stellten. Das ist jetzt 80 Jahre her. Die Deutschen Christen gibt es nicht mehr, Gott sei’s gedankt. Aber die beiden Engelchen, die sind immer noch da. Gerechtigkeit und Friede haben den längeren Atem gehabt.

Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne. Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen. Das verleihe Gott uns allen!

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Florian Herrmann, EMB

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