Impuls des Ältesten zum 1. Advent

Herr, zeige mir deine Wege
und lehre mich deine Steige!
Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich!
Psalm 25

Meine Brüder und Schwestern!

Mit dem ersten Sonntag im Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Aber gehen wir wirklich in diese Zeit hinein – oder werden wir von ihr vorwärtsgeschoben? Sind wir Getriebene vom Strom der Zeit oder Wanderer, die gemessen ihren Weg gehen, den „geistlichen Pfad“?

Walter Benjamin, der große jüdisch-deutsche Gelehrte, hat dieses Getriebenwerden im Bild des „Engels der Geschichte“ beschrieben: mit dem Gesicht zur Vergangenheit, dem Rücken zur Zukunft, zurückblickend auf den „Trümmerhaufen“ der Geschichte, von einem Sturm, der aus dem Paradies kommt, unaufhaltsam in die Zukunft getrieben. Ein düsteres Bild – aber es trifft etwas von unserer Erfahrung in Krisen, Kriegen, Umbrüchen.

Unser Blick auf die Geschichte ist ein anderer. Wir sind nicht das Laub im Herbst, das von den Stürmen der Ereignisse aufgewirbelt wird. Inmitten aller Erschütterungen gehen wir einen Weg – mit offenem Blick „auf die Zeichen der Zeit“ und auf den uns entgegenkommenden Christus: „Seht auf und erhebt eure Häupter“ (Lk 21,28). Der, „der da ist und der da war und der da kommt“ (Offb 1,8), geht zugleich schon jetzt an unserer Seite – der gute Hirte (Joh 10,11), der mitten im Heute den Weg weist. In ihm verschränken sich das Gewesene, das Gegenwärtige und das Kommende.

Wenn Jesus sagt: „Ich bin der Weg“, dann müssen wir uns nicht hetzen lassen. Wir dürfen Schritt für Schritt gehen, von einem Tag zum anderen – mit wachen Augen: für unser eigenes Herz, für den Bruder an unserer Seite, für die in Kriegen und in der Ungerechtigkeit geschundenen Menschen und für die leidende Schöpfung. Das Ziel dieses geistlichen Weges? „Exercitium humanum“: Menschwerdung. Ich bin berufen, der Mensch zu werden, der ich in Gottes Augen sein soll – ein priesterlicher Mensch, der großzügig empfängt und großzügig austeilt.

Mit den Worten einer Meditation unseres Bruders Karl Bernhard Ritter: „Jesus Christus spricht, ich bin der Weg. Wir schreiten auf dem Weg, den Er uns gebahnt hat/ den Er uns weist/ auf dem Er uns vorangeht/ Wir schreiten auf dem wahren Weg/ auf dem Weg, der zum Ziel führt/ dem Weg zu unserem ewigen Heil/ dem Weg, auf dem an uns geschieht, was an uns geschehen muß. Du sollst auf diesem Weg sichere Tritte tun/ entschlossen vorwärts schreitend/ nicht abirrend/ nicht um Dich blickend/ ohne Zweifel/ ohne Zögern/ doch ohne Hast/ frei von aller Unruhe/ denn Du darfst ihm nachfolgen/ geborgen in Seiner Macht/ geborgen in Seinem Frieden/ fröhlich/ voller Zuversicht.“ (Die Vorhalle, Kassel 1959, S. 54).

Meine Brüder, lasst uns in diesem Geist in den Advent hineingehen und den Weg zur Weihnacht bewusst beschreiten.

Euer Bruder
Roger Mielke

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