Andacht zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Evangelium und Predigttext – Lukas 18, 9-14

9 Jesus sagte zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis:
10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner.
12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich
13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht

 

 Liebe Leserinnen und Leser!

Die meisten von uns kennen das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, viele von schon seit der Kindheit etwa aus dem Kindergottesdienst. Wir haben unsere Bilder dazu im Kopf. Mitten im Tempel deutlich sichtbar und hoch erhobenen Hauptes befindet sich der Pharisäer, vielleicht sogar vornehm gekleidet. Selbstbewusst steht er vor Gott. Das merken wir, auch ohne dass wir seine Worte hören können, denn es heißt ja, dass er bei sich selbst betete. Der Zöllner steht am Rand, kaum sichtbar, da er auch noch in sich gekehrt, betroffen und schuldbewusst nach unten schaut.

Unsere Sympathie liegt eindeutig auf der Seite des Zöllners, dessen Verhalten von Jesus ausdrücklich anerkannt wird: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, … Ja, so müssen wir uns Gott gegenüber verhalten. So und nicht anders. Das stimmt. Doch ist das so einfach?

Bekommen wir von Jesus nicht auch den Spiegel vorgehalten? Wollen wir nicht auch etwas gelten? Auch wir vergleichen uns mit anderen Menschen wie der Pharisäer. Wir leisten mehr im Beruf als andere, wir haben ein schöneres Haus oder ein größeres Auto, um nur wenige Beispiele zu nennen. Und wenn wir ehrlich sind, dann wollen wir uns doch ebenso wenig wie der Pharisäer auf eine Stufe mit denen stellen, die sich nicht an Recht und Gesetz halten. Das wäre unter unserem Niveau. Also stellen wir uns über sie und blicken auf sie herab.

Aus den Worten des Pharisäers spricht so viel Stolz, ja Überheblichkeit, dass der Dank an Gott dabei untergeht. Wenn wir ehrlich sind, dann kennen wir das auch, wenn wir z. B. sagen: „Das habe ich mir im Schweiße meines Angesichts erarbeitet. Warum soll ich Gott dafür dankbar sein?“ Oder im Vergleich zu unseren Einsatz für die Kirche als Ehren- oder Hauptamtliche und sprechen wir spöttisch von den anderen, die sich nicht blicken lassen, als den Karteileichen. Und insgeheim wünschen wir uns, dass Gott wahrnimmt, was wir für ihn tun, uns dafür lobt und uns daher besser findet als die anderen Menschen.

Doch denken wir noch genauer nach: Meinen wir wirklich ernsthaft, dass Gott Menschen miteinander vergleicht, dass er uns einteilt in die, die er mag, und in die, die ihm gar nicht gefallen? Das tut er im Grundsatz nicht, denn er hat uns alle geschaffen. Darum sind alle Menschen für ihn wichtig. Keiner von uns muss das Gott beweisen, dass er oder sie besonders wichtig ist. Und außerdem: Meinen wir, dass Gott uns nur deswegen anerkennt, weil wir etwas leisten, etwas besonders gut können oder z. B. besonders freundlich sind? Dann hätten z. B. ältere Menschen, die in ihren Möglichkeiten eingeschränkt sind, bei Gott keine guten Karten mehr. Er würde sie weniger lieben als alle anderen. Aber Gott hat ja alle gleich gern. Wir alle liegen ihm am Herzen. Um uns das zu zeigen, ist er, der große Gott, in Jesus Christus freiwillig klein geworden und hat sein Leben unter uns als Kind begonnen.

Schließlich müssen wir uns eingestehen, dass wir dem großen Gott eigentlich nie genügen können.

Das ist die wichtige Erkenntnis, die sowohl der Apostel Paulus als auch Martin Luther im Bibelstudium und Gebet, ja im zähen Ringen mit Gott gewonnen haben. Schon der Zöllner hatte das erkannt. Er prahlt nicht mit seinen Leistungen. Er schaut vielmehr ehrlich auf das, was er falsch gemacht hat und was er nicht kann. Er ist sehr traurig und bestürzt darüber. Darum schaut er betroffen nach unten, schlägt sich an die Brust und stammelt: Gott, sei mir Sünder gnädig! Und Gott nimmt ihn an, auch wenn er nichts vorzuweisen hat als seine Schuld und seine ehrliche Bitte,      dass Gott ihn trotzdem annimmt.

Gott nimmt auch uns an, so wie wir sind, mit allen unseren Unzulänglichkeiten. Er versteht es auch, wenn wir ehrlich zugeben, dass es uns schwer fällt, andere Menschen zu akzeptieren. Dazu braucht es vor Gott nicht viele Worte, sondern nur das ehrliche Eingeständnis: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ja, Gott ist uns gnädig. Er erwartet von uns nicht Vollkommenheit. Sein Maßstab ist viel mehr die Barmherzigkeit. Dadurch kann sich auch der Maßstab verändern, den wir an andere anlegen. Denn weil Gott für uns alle Gnade vor Recht ergehen lässt, wird uns klar: Wir stehen vor Gott alle auf einer Stufe. Für uns alle ist Gott mit seiner Liebe da. Wir brauchen uns mit niemandem mehr zu vergleichen und können befreit miteinander leben.

Einen gesegneten Sonntag und eine gute Wochen wünschen Ihnen

Hans-Werner Boltjes
(Pfarrer im Ruhestand)
Renate Boltjes
(Pfarrerin)

 

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