Epheser 2,4-10
Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.
PREDIGT über Epheser 2,4-10
„Über Menschen“ heißt der neue Roman von Juli Zeh. Dora flüchtet nach Bracken. Bracken ist ein erfundenes Dorf in Brandenburg und Dora ist eine erfolgreiche Werbetexterin, die es in Berlin nicht mehr aushält. Genauer gesagt hält sie es mit ihrem Freund Robert nicht mehr aus. Robert setzte sich für den Klimaschutz ein, was ja an sich sehr gut ist, aber er übertrieb es bald und engte Dora mit seinen Regeln immer mehr ein. Und als Corona kam, wurde Robert noch schlimmer. Als er Dora sogar verbieten wollte, das Haus zu verlassen, um mit ihrem Hund Gassi zu gehen, flüchtete sie. Wie gut, dass sie sich einige Zeit zuvor heimlich dieses heruntergekommene große Haus in Brandenburg von ihren Ersparnissen gekauft hatte. Also flüchtet Dora nach Bracken. Ihr Nachbar stellt sich mit den Worten vor: „Ich bin Gote. Und ich bin hier der Dorfnazi.“ Und tatsächlich grölt er abends betrunken mit seinen Kumpels Nazilieder. Heini von gegenüber rodet ungefragt ihren verwilderten Garten. Und das schwule Paar im Dorf wählt wie die meisten hier auch die AfD. Dora ist entsetzt: Wo ist sie hier bloß hingeraten? Und mehr als einmal zweifelt sie, ob es die richtige Entscheidung war, nach Bracken zu ziehen und ob sie nicht lieber alle Zelte wieder abbrechen sollte. Abends liegt sie wach und betet: „Lieber Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen hier.“
Nee, ok, das betet sie nicht. Aber das hätte gut in diese Predigt gepasst. Denn im Prinzip verhält Dora sich genauso wie der Pharisäer im Evangelium. „Lieber Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser Zöllner da.“ Denn Dora weiß genau, was gut und richtig ist. Sie ist selber sehr umweltbewusst, hat statt Auto nur ein Fahrrad, kauft bewusst ein und wählt die ihrer Meinung nach richtige Partei. Sie arbeitet sogar für eine Werbeagentur, die sich verpflichtet hat, nur für verantwortlich hergestellte Produkte zu werben. Und jetzt ist sie plötzlich unter Leuten, die ganz anders sind. Und während ich das Buch lese, denke ich: Wahrscheinlich ginge es mir genauso. Ich würde mich in Bracken auch unwohl fühlen und in meinem Herzen auf die anderen Dorfbewohner herabsehen.
Und hier kommt nun der Epheserbrief ins Spiel. Ich weiß, der Text ist unglaublich schwer zu verstehen. Deshalb benötigen wir einen kurzen theologischen Exkurs. Gnade heißt auf lateinisch: gratia. Gnade bedeutet Geschenk, etwas, das es gratis gibt. Die Idee bei Paulus und dem Epheserbrief ist: Gott überreicht uns Menschen ein Geschenk. Und wir brauchen nichts dafür zu tun. Wir kriegen es einfach so. Das einzige, was wir tun müssen, ist, das Geschenk anzunehmen und es aufzumachen. Und was ist darin? Ein großes Herz: Gottes Liebe. Gott liebt uns. Und wir brauchen nichts dafür zu tun. Wir kriegen sie einfach so. Und diesen Moment, wo wir das Geschenk annehmen und denken: Oh wie schön: Gott liebt mich, diesen Moment nennt man Glauben. Zusammengefasst: Aus Gnade schenkt Gott uns seine Liebe, wir nehmen sie an und glauben. Oder mit den Worten des Epheserbriefs: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet, durch den Glauben. Das verdankt ihr nicht eurer eigenen Kraft, sondern es ist Gottes Geschenk. Er gibt es unabhängig von irgendwelchen Taten, damit niemand darauf stolz sein kann.“ (BasisBibel)
Unabhängig von irgendwelchen Taten? Ja, das war auch die Erkenntnis von Martin Luther: Ich brauche keine Ablassbriefe kaufen – Gott liebt mich auch so. Ich brauche keine Unsummen zu spenden – Gott liebt mich auch so. Ich muss nicht jeden Sonntag in die Kirche rennen – Gott liebt mich auch so. Und dennoch tut es mir und vielen von euch gut, dass wir uns sonntags zum Gottesdienst treffen, uns im Glauben vergewissern und beten. Aber es wird im Himmel keine Strichliste geführt. Da sagt niemand: Du kommst hier nicht rein, weil du fünf Mal zu wenig im Gottesdienst gewesen bist. Wenn wir aber alle grundsätzlich von Gott geliebte Menschen sind, dann kommt uns allen grundsätzlich derselbe Wert, dieselbe Würdigkeit zu. Zurück nach Bracken, zu Dora.
Dora bleibt in Bracken. Denn die Rückkehr nach Berlin ist auch nicht verheißungsvoll. Es ist Frühjahr 2020 und Corona hält alles im Atem. Ihr Vater will neu heiraten und damit kommt sie nicht klar. Und dann bekommt sie von der Agentur die Kündigung. Die Ersparnisse stecken alle im Haus. Also bleibt sie in Bracken. Und je länger sie dort unter Leuten (Juli Zeh: Unterleuten, 2019) lebt, desto schwerer fällt es ihr über Menschen zu urteilen. Über Menschen. Der Titel des Romans. Sie kann irgendwann rein logisch nachvollziehen, warum die Menschen dort frustriert sind und die AfD wählen, auch wenn es natürlich keine wirkliche Lösung ist. Klar verurteilt sie immer noch die fremdenfeindliche Haltung und auch die früheren Straftaten ihres Nazi-Nachbarn Gote, findet es schrecklich, aber erkennt es auch, als Gote schwerkrank ist und bringt ihn ins Krankenhaus.
Doras Welt bleibt kompliziert. Es gibt keine einfachen Lösungen, nur kleine Schritte. Ihre letzte Werbekampagne war für fair gehandelte Jeans. Die Jeans sollten den Namen „Gutmensch“ bekommen. Ganz bewusst auch weil Gutmensch in letzter Zeit eher ein Schimpfwort geworden ist. Wer diese Jeans kauft, steht dazu: Ich bin ein Gutmensch. Und in der Werbekampagne sollte ein sympathischer
Mann zu sehen sein, der den Filmen immer wieder bei einer guten Tat gezeigt wird, die dann auf witzige Weise schiefgeht: „Der Gutmensch als Antiheld, der die eigene Fehlbarkeit selbstironisch präsentiert.“ Er hilft einem Mann, der eine Panne hat und sich dann als Bankräuber entpuppt. Er bietet einem Fremden sein Gästezimmer an und am nächsten Morgen ist es leergeräumt. Er befreit einen Löwen aus seinem zu kleinen Käfig im Zoo und der will ihn dann fressen. Und Dora merkt, dass sie eigentlich genau so ist.
Und ich merke, dass ich genauso bin. Ich versuche immer wieder gut und richtig zu leben, ein guter Mensch zu sein, und dann klappt es doch nicht immer. Wie gut, dass wir da aus Gnade leben. Dass der da oben uns trotzdem liebt. Und darum können wir es einfach weiter versuchen: Gutes tun und das Beste aus diesem Leben machen. Und wenn möglich, mit Gottes Hilfe die Welt verbessern. Der Christ als Gutmensch, der die eigene Fehlbarkeit selbstironisch präsentiert? Das würde Gott gefallen.
Amen.
Pfarrer Nico Szameitat
Konvent Norddeutschland
Leiter der Jungbruderschaft St. Michael