„Das Jahr hat seine Höhe und Mitte in der Heiligen Woche, in der die Kirche das Gedächtnis des Leidens Sterbens und der Auferstehung ihres Herrn begeht … Wenn unsere Kirche diese Woche als ein in sich geschlossenes Ganzes zurückgewinnt, wird auch der Palmsonntag bewußt als ihr Beginn begangen werden.“ (Karl Bernhard Ritter, Die Eucharistische Feier, 1961, S. 171)
„Der Palmsonntag ist das Eingangstor zur Karwoche – aber doch auch zugleich eine Vorfeier von Ostern.“ (Die Heilige Woche, 2. Aufl. 1965, S. 4) Liebe Brüder, wenn man mich nach der Spiritualität unserer Bruderschaft fragt, sage ich manchmal (neben anderem): „Wir sind Kirchgänger.“ Sonntag für Sonntag und Festtag für Festtag mit der Kirche den Gottesdienst zu feiern, gehört zum Kern unserer Frömmigkeit – auch dort, wo sich die örtliche Christenheit sich nicht in ihrer Bestform präsentiert.
In der Heiligen Woche verdichtet sich das. Das Gottesdienst-Geschehen zwischen Palmsonntag und dem Ostermorgen ist „Höhe und Mitte“ des ganzen Jahres. Es hat eine ganz eigene Dramaturgie, in der wir uns das Sterben und am Auferstehen des Herrn ‚aneignen‘. Es ist für alle Brüder eine wichtige geistliche Übung, den gottesdienstlichen Spannungsbogen, der von Palmsonntag bis zum Osterfest führt, mitzuvollziehen. Das ist auch in Kirchengemeinden möglich, die nicht die Möglichkeiten (oder den Willen) zu einer entfalteten liturgischen Praxis haben. Brüder, die in einer solchen Kirchengemeinde leben, sollen sich gerade in der Heiligen Woche dem Gemeindegottesdienst nicht entziehen, auch wenn er nicht ihren eigenen liturgischen Wunschvorstellungen entspricht.
Gottesdienste bei den ökumenischen Geschwistern und der reiche Schatz des Evangelischen Tagzeitenbuchs können den Gottesdienst in der eigenen Kirchengemeinde ergänzen, aber nicht ersetzen. Als Gottesdienst-Teilnehmer in diesen Tagen werde ich wirklich zum Teilnehmer, ja zum Teil des großen Mysteriums, dass Christus die Seinen durch den Tod hindurch mit in die Auferstehung nimmt. Der Palmsonntag ist die Pforte, durch die ich in dieses Geschehen eintrete. Mit Christus zusammen gehe ich durch das Stadttor – gehe dorthin, wo es ernst wird. Nachfolge bis hin zum Kreuz ist unbequem. Über ihr ist die Verheißung, dass sie in die Auferstehung führt. „Jeder Bruder liest und bedenkt die Regel mindestens einmal im Jahr in der Fastenzeit“ (Regel Zijer 72). Wer heuer in der Fastenzeit die Gelegenheit dazu noch nicht genutzt hat, mag in der Karwoche Zeit dafür finden.
Ich wünsche Euch erfüllte Kar- und frohe Ostertage!
Euer Bruder Florian Herrmann