Bericht über den Epiphaniaskonvent in der Abtei Engelthal vom
15. – 18. Januar 2024
Ursprünglich hatten wir geplant, unseren Epiphaniaskonvent so zu legen, dass wir ihn mit dem Hochamt zu Epiphanias hätten abschließen können, was sich indes nicht realisieren ließ, so dass wir uns etwas später, nämlich vom 15. bis 18. Januar trafen. Natürlich hatte sich der massive Wintereinbruch, auf den wir später noch eingehen werden, nicht vorhersehen lassen. Die Anreise verlief noch halbwegs normal, so dass wir uns nahezu vollzählig trafen.
Zu Beginn nahmen wir an der Vesper der Schwestern teil und trafen uns nach dem Abendessen zu einem Begrüßungskonvent, bei dem wir uns einander kurz vorstellten, weil unsere Gäste eine Vorstellung bekommen sollten, mit wem sie diese Tage verbringen würden. Nach der Komplet sah das Programm geselliges Beisammensein vor – ein Programmpunkt, der allgemein Anklang fand.
Den Dienstag begannen wir, indem wir uns den Schwestern bei den Laudes anschlossen. Bisher waren wir es gewohnt, dass im Kloster an jedem Morgen eine Messe gefeiert wurde, die aber inzwischen mit der abendlichen Vesper verbunden wurde. Auch findet nicht mehr an jedem Tag eine Messe statt – dafür scheinen nicht mehr genügend viele Priester bereitzustehen, und einen Spiritual hat das Kloster schon lange nicht mehr.
Den Vormittag widmeten wir einem Konvent mit Prof. Hans-Martin Barth zum Thema „Zukunft der Kirchen-Abschied vom Christentum oder ‚back to church’“. Holger Berninghaus steuerte zu diesem Thema das bemerkenswerte Zitat „Schafe vermehren sich durch Schafe nicht durch Hirten“ bei, dessen Autor ihm leider nicht präsent war. Herr Barth erinnerte zunächst daran, dass zur Zeit des Alten Testaments Krisen oft den Beginn einer Erneuerung einleiteten. So entstanden nach dem Untergang Israels die großen Geschichtsbücher, und nach dem Babylonischen Exil kam es zu einer grundlegenden Neuausrichtung des Judentums. Kann das auch heute geschehen? Dafür würden wir ein neues Leitbild der Kirche benötigen, das wohl nur von kleinen Gruppen ausgehen kann. Nach dem Vortrag begingen wir die Sext nach unserer Ordnung.
Am Nachmittag war der Hanauer Dekan, Dr. Martin Lückhoff, unter uns, um mit uns die Ergebnisse der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zu besprechen. Dabei widmete er sich neun Themenbereichen:
- Fragt man, wem die Bevölkerung am meisten vertraut, so genießen Universitäten das höchste Vertrauen gefolgt von der Justiz und Caritas. Die evangelische Kirche schneidet noch vergleichsweise gut ab, während die katholische Kirche sogar bei ihren eigenen Mitgliedern weniger Vertrauen genießt als die evangelische.
- Der klassische Sonntagsgottesdienst spielt kaum noch eine Rolle.
- Die Gruppe derer, die im Kirchenaustritt eine Option sieht, ist deutlich gewachsen.
- Die eigentliche Hochschätzung der kirchlichen Arbeit betrifft die Diakonie.
- Auf die Pfarrerin kommt es an, Bischöfe oder der Papst interessieren das Kirchenvolk nicht.
- Es herrscht eine konfessionelle Indifferenz. Die Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Konfession sind weit geringer als die Unterschiede zwischen Kirchenmitgliedern und Konfessionslosen.
- Der Religionsunterricht wird mehrheitlich befürwortet, die kirchliche Mitverantwortung des Unterrichts aber zunehmen kritisch beurteilt.
- Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der kirchlichen Praxis verschwinden zunehmend.
- Es findet keine Auswanderung aus der Religion statt, wohl aber aus den Kirchen.
Die anschließende Aussprache war so lebhaft, dass Herr Lückhoff nicht mehr dazu kam, von der EKD-Synode zu berichten. Also begaben wir uns in die Kirche, wo wir die Vesper und das Konventsamt mit den Schwestern feierten. Bei unserem letzten Treffen in Engelthal hatte ich vermutet, dass der konservative backlash der Grund dafür sei, dass die Kommunion nach römischer Sitte sub una specie erfolgte, was allerdings ein Irrtum war, da wohl die Furcht vor dem Corona-Virus der Grund gewesen war. Jedenfalls waren die Schwestern zu ihrer früheren Praxis zurückgekehrt.
Nach dem Abendessen setzten wir noch die Aussprache fort – allerdings ohne den Referenten, der bereits hatte abreisen müssen. Nach der Komplet saßen wir noch beim Wein zusammen, wobei wir davon profitierten, dass inzwischen Josef Natrup mit ausgesucht guten Weinen im Kofferraum erschienen war.
Den Mittwoch begannen wir mit einer Meditation, bei der uns Holger Berninghaus anleitete – offenbar ein Bruder mit vielen Talenten. Nach dem Frühstück erlebten wir eine Premiere: wir feiern grundsätzlich bei jedem Konvent in Engelthal eine Messe nach unserer Ordnung, aber in den mehr als fünfzig Jahren, die ich in Engelthal bin, war es das erste Mal, dass wir die Kirche benutzen durften. Es war auch die erste Messe, die Daniel Kallen als Liturg mit uns feierte, assistiert wurde er von Robert Bielefeld, Kantor war Holger Berninghaus und Organist Heiko Wulfert.
Am Vormittag führte Josef Natrup mit uns ein Bibelgespräch über das erste Kapitel des Römerbriefs. Wie wir es von Josef Natrup gewohnt sind, betrachteten wir in bester Philologenmanier den Text Wort für Wort, wobei wir, wie es sich für Philologen gehört, das Schwergewicht auf den griechischen Urtext legten. Mir gefällt zwar das Griechisch von Paulus nicht, aber es ist schon faszinierend, wie er versucht, für eine bis dahin unbekannte Erfahrung und Erzählung neue Wörter zu finden.
Die Sext beteten wir mit den Schwestern, die wegen ihrer geringen Zahl und ihres hohen Alters, allmählich dazu übergehen, die Psalmen zu sprechen statt zu singen. Am Nachmittag übten wir die Gesänge für die gemeinsame Vesper mit den Schwestern, anschließend trafen sich unsere Gäste mit Prof. Barth, während die Brüder sich zu einem geschlossenen Konvent zurückzogen.
Anschließend hatte der Probemeister die Brüder in der Probezeit zu einem Konvent geladen, während die voll aufgenommenen Brüder sich dem Gespräch mit Prof. Barth anschlossen. Die Vesper feierten wir traditionsgemäß mit den Schwestern, die darum gebeten hatten, dass die anwesenden Frauen bei ihnen saßen, um sie beim Singen zu verstärken. Heiko Wulfert war der Vorbeter, und Andreas Litzke hielt eine sehr schöne Predigt zum Zeitenwandel, der er nicht etwa ein Communiqué der Bundesregierung sondern ein Bild vom Isenheimer Altar zugrunde legte. Auf dem Hof war es dermaßen glatt, dass die Schwestern uns anboten, durch ihre Klausur direkt ins Kloster zu gehen.
Nach dem Abendessen hörten wir einen Vortrag von Holger Berninghaus über „Dag Hammarskjöld: Politiker und Mystiker“. Ich danke Bruder Berninghaus dafür, dass er sein Manuskript zur Verfügung gestellt hat.
Dag Hammarskjöld wurde am 29. Juli 1905 als viertes Kind einer angesehenen Familie in Jönköping geboren – der Vater war ein hoher Beamter, der sogar von 1914 bis1917 das Amt des Premierministers bekleidet hatte. Er wuchs in einer Wohnung im alten Schloss von Uppsala auf, wo sein Vater die Provinzverwaltung leitete. Der junge Dag war ein begabter Schüler aber sehr zurückgezogen. Nach der Schule begann er ein Studium an der renommierten Universität von Uppsala als „hemmason“ (das heißt, er wohnte nicht mit den Studenten aus seiner Provinz („län“) zusammen, sondern wohnte daheim. Zunächst studierte er Literatur, wechselte dann aber zu Philosophie, BWL, VWL und Jura und wurde in VWL mit Auszeichnung promoviert. Typisch für sein Einzelgängertum war, dass er als erster Student zur Disputation nicht im Frack erschien. Anschließend begann er ab 1930 eine Karriere als (parteiloser) Beamter, die ihn bis ins Kabinett und in den diplomatischen Dienst führte. Ein Freund beschrieb ihn als einen prima vista leichten und fröhlichen Menschen, der offen und natürlich wirkte – dies alles aber nur kraft seiner extremen Selbstdisziplin – in Wirklichkeit war er tief in sich zurückgezogen, empfindsam und einsam. Am 7.4.1953 wurde er als Nachfolger des Norwegers Trygve Lie zum zweiten UN-Generalsekretär gewählt. Vier Jahre später erfolgte seine einstimmige Wiederwahl. Breite Anerkennung erfuhr er, als er 1954 in Peking die Freilassung von Gefangenen aus dem Koreakrieg erreichte. 1956 gelang es ihm, eine internationale Friedenstruppe im Suezkanal-Krieg aufzustellen. Anschließend setzte er die Aufstellung einer ihm unterstellten Truppe, der “UN emergency force” durch, die wir als Blauhelme kennen. Im Jahr 1960 fungierte er als Vermittler, als die Provinz Katanga sich von Belgisch-Kongo abspalten wollte. Am 18. September 1961 kam er bei einem bis heute nicht aufgeklärten Flugzeugabsturz um Leben, als er zum Präsidenten Moise Tschombé nach Katanga unterwegs war. In Schweden wurde er mit einem Staatsbegräbnis ausgezeichnet, was sonst Mitgliedern der Königsfamilie vorbehalten ist, und er wurde posthum mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Dag Hammarskjöld war natürlich Mitglied der lutherischen Staatskirche aber kein regelmäßiger Kirchgänger, auch diskutierte er mit Freunden nicht über religiöse Fragen – seine Gottesbeziehung muss sehr individuell gewesen sein, und er hatte eine Abneigung gegen gefühlsbetonte Erweckungsbewegungen. 1968 erschien „Vägmärken“, eine Textsammlung, die auf Deutsch als „Zeichen am Weg“ erschienen ist. Sie geht zurück auf eine lose Textsammlung mit Notizen, die 1925 beginnt.Der Titel stammt von Hammarskjöld selbst, der diesem Text eine Widmung voranstellte: „Sammlung für eine Art Tagebuch oder Weißbuch betreffend die Verhandlungen mit mir selbst und mit Gott“ . Erwähnt sei noch, dass Hammarskjöld auf seinem Todesflug nach Katanga den Text „Ich und Du“ von Martin Buber auf Englisch und Deutsch bei sich führte, den er ins Schwedische übersetzen wollte.
Wir beschlossen den Tag wieder mit der Komplet und saßen anschließend noch einige Zeit beisammen. Der nächste Tag ließ nichts Gutes ahnen, der Wetterbericht hatte ja auch massive Schneefälle angekündigt. Immerhin durften wir für den Weg zur Laudes und zurück wieder durch die Klausur gehen. Nach dem Frühstück entließ unser Ältester, Volker Truschel, uns mit dem Reisesegen.
Christean Wagner brachte ein autofahrerisches Meisterstück zustande, indem er Familie Zimmermann und mich den Schneemassen zum Trotz wohlbehalten nach Hause gebracht hat, wofür ihm ganz herzlich gedankt sei. Wie schlecht allerdings gute Werke bisweilen gelohnt werden, musste Josef Nortrup erfahren: er hatte Heiko Wulfert und Christean Wagner geholfen, die Scheiben ihrer Autos vom Eis zu befreien und dadurch wertvolle zehn Minuten verloren, die ihm später fehlten, um dem Stau auf der A5 zu entgehen, indem er dann 17 Stunden bei Eiseskälte feststeckte, was bis 4 Uhr in der Nacht andauerte, so dass er erst um 6 Uhr total übermüdet zu Hause eintraf.
Christian Fenske