Reformationsfest 2021
Kann ein einzelner Mensch die Welt verändern? Ja und Nein! Ganz alleine wird niemand den Gang der Dinge in dieser Welt verändern können. Dazu bedarf es immer des Einsatzes und der Tatkraft vieler. Aber immer wieder sind es einzelne Personen, die großen Veränderungen den Weg bereiten. Und ich meine jetzt Veränderungen hin zum Guten.
Einer der die Welt gehörig verändert hat war Martin Luther. Halb Europa geriet in Folge der Reformation aus den Fugen. Und ein Jahrhundert später wurde Europa in einem furchtbaren Krieg aufs Heftigste erschüttert, einem Krieg von 30 Jahren Dauer. Allein ein Drittel der deutschen Bevölkerung soll in diesem Krieg sein Leben verloren haben.
Doch wie kam es überhaupt zur Reformation? Wie kam es dazu, dass ein einzelner Mönch die Kirche verändern konnte?
Martin Luther sagt rückblickend über seine ersten 22 Lebensjahre:
Ich bin am 10. November 1483 in Eisleben geboren. Am Tage darauf, dem Martinstag, trug man mich in die nahe Peterskirche zur Taufe. Mein Vater war ein armer Berghauer. Die Mutter hat ihr Holz auf dem Rücken heimgetragen. Als ich noch nicht ein Jahr alt war, zogen meine Eltern nach Mansfeld. Dort brachte es Vater bis zum Besitzer einer Kupfermine und zum Vertreter der Bürgerschaft gegenüber dem Rat der Stadt. Hier ging ich auch zur Schule und lernte Lesen und Schreiben und auch ein wenig Rechnen, vor allem aber Latein. Mit 14 Jahren schickten mich meine Eltern auf die Domschule nach Magdeburg und ein Jahr später auf die Stadtschule nach Eisenach. Zwei fromme Familien gaben mir Unterkunft und Verpflegung. Als ich 17 Jahre alt war – es war das Jahr 1501 – schickte mich mein Vater auf die Universität Erfurt. Dort studierte ich wieder Latein, Philosophie, ein wenig Mathematik und lernte klug disputieren. Eben habe ich nach vierjährigem Studium meine Magisterprüfung abgelegt und darf selbst Unterricht halten. Mein Vater will, dass ich noch Rechtswissenschaften studiere, um einmal Rat oder gar Minister zu werden. Ich bin jetzt knapp 22 Jahre alt.
Und dann kommt alles ganz anders. Drei Ereignisse geben Luther den Anstoß, ins Kloster zu gehen: Ein Gewitter in der Nähe von Stotternheim, eine gefährliche Beinverletzung, der plötzliche Tod eines Freundes.
Hinter Luthers Entschluss steht eine Frage, die ihn lange Zeit beschäftigen wird: „Was wäre, wenn ich tot wäre und vor den Richterstuhl Gottes treten müsste?“ Das ist die Frage nach dem Seelenheil. Wenn Luther darauf mit dem Gang ins Kloster reagiert, so nutzt er damit einen für das Mittelalter durchaus üblichen Weg, das Heil sicher zu erlangen.
Der Alltag im Kloster ist hart. Luther schreibt hierzu:
Wahr ist’s, ein frommer Mönch bin ich gewesen und habe meine Ordensregel so streng gehalten, dass ich sagen darf: Ist je ein Mönch in den Himmel gekommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineingekommen sein. Das werden mir bezeugen alle Klostergesellen, die mich je gekannt haben. Denn ich hätte mich, wenn es länger gewährt hätte, zu Tode gemartert mit Wachen, Beten, Lesen und anderer Arbeit.
Jedoch: So sehr er sich auch müht, er findet keine Antwort auf seine ihn bedrängende Frage. Er ist verzweifelt. Sein Beichtvater Johannes von Staupitz gibt ihm einmal in einem Gespräch den Hinweis: „Wollt ihr Gewissheit haben, dass Gott euch annimmt, dann haltet euch an Jesus Christus.“
Die entscheidende Entdeckung macht Martin Luther, er ist inzwischen Professor an der Universität Wittenberg (seit 1512) geworden, bei der Vorbereitung einer Vorlesung über den Römerbrief (zwischen 1513 und 1517). Der Apostel Paulus schreibt im 1. Kapitel, Vers 17:
Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«
Durch Nachdenken über diesen Satz macht Luther die alles entscheidende Entdeckung, die sein Leben, aber auch das Leben der Kirche verändern sollte.
Um die „Gerechtigkeit Gottes“ geht es hier. Traditionell verstand man darunter eine aktive Gerechtigkeit, d.h. ich muss eine Leistung erbringen. Gott richtet mich nach dem, was ich an Leistungen erbracht habe. Das löst natürlich Zweifel am Heil aus: „Habe ich genug getan?“ Die Folge ist ein Hass gegen Gott.
Dem gegenüber steht das neue Verständnis Luthers: Er entdeckt „Gerechtigkeit Gottes“ neu als passive Gerechtigkeit, d.h. ich kann nichts dafür tun, werde beschenkt, Gott vergibt. Das bringt Heilsgewissheit; „Christus allein zählt!“ Die Folge ist nicht mehr der Hass gegen Gott, sondern die Liebe zu Gott.
Für Luther war diese Entdeckung im Römerbrief eine sich öffnende Tür, ein Schlüsselerlebnis. Er schreibt dazu:
Schließlich erbarmte sich Gott meiner … Da begann ich zu begreifen, dass dies der Sinn des Satzes sei: Gott schenkt seine Gerechtigkeit, und von diesem Geschenk kann der Mensch leben; Gott spricht den Menschen gerecht. Gott ist barmherzig: Er stellt sich auf die Seite des Menschen und schafft dem Menschen so Lebensraum. … Da fühlte ich mich wie neu geboren.
Diese Entdeckung wurde auch zum Schlüssel seiner Lehre und unserer Evangelischen Kirche. Dieser Satz aus dem Römerbrief war es, der Luthers Denken veränderte. Er sagte Luther und sagt uns: Wir können glauben, dass Gott den Glauben in uns anfängt. Immer er. Und zuerst er. Er fordert nichts ein, was wir erst schaffen müssten, sondern er kommt uns zuvor und schenkt uns Vertrauen, damit wir mit Vertrauen antworten können. So entgegenkommend ist Gott.
So will diese Bibelstelle auch uns heute Türen öffnen für unseren Glauben, so wie bei Paulus vor rund 2.000 Jahren und Luther vor gut 500 Jahren. Die Bibelstelle sagt uns, wie ein Christenmensch leben kann. Der Tod Jesu Christi und seine Auferweckung zum Leben ist das Schlüsselereignis. Gott selbst erschließt sich den Menschen in seinem Sohn. Keinem ist mehr der Zugang zu Gott verwehrt.
Voller Dank dürfen wir zurückblicken auf über 500 Jahre (evangelische) Kirchengeschichte und uns immer wieder an Martin Luthers entscheidende Erkenntnis halten, dass wir Gottes Gnade nicht verdienen können, sondern geschenkt bekommen.
Der 31. Oktober 1517 war der Moment, wo der Gedanke der Freiheit, der bis heute für unser Gemeinwesen bestimmend ist, sich Bahn brach. Luther schenkte uns mit seiner Bibelübersetzung das Wort Gottes neu, denn in ihm fand er die Antwort auf seine quälende Frage nach Gott: Allein der Glaube, allein Christus, allein die Bibel, allein die Gnade. Wir haben Grund, das zu feiern, nicht nur wir Christen, sondern alle Menschen guten Willens.
Pfr. Reinhard Fischer,
Würzburg – Thomaskirche
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