Predigt zum Fest Geburt Johannes des Täufers, Johanniskonvent des Rheinisch-Westfälischen Konvents der EMB, 27. Juni 2021 in der Wasserburg Rindern, Kleve,
Pfarrer Dr. Benjamin Härte EMB
Jes 40:
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat’s geredet. Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Liebe Schwestern, liebe Brüder!
„Was soll ich predigen?“
Was haben wir als Geistliche, berufen zur öffentlichen Wortverkündigung, aber auch wir als Christinnen und Christen überhaupt den Menschen zu sagen?
Viele Gedanken machen sich Predigerinnen und Prediger, Katechetinnen und Katecheten und alle, die von ihrem Glauben erzählen möchten, über Form und Stil. Welche Zielgruppen müssen wir erreichen? Was ist ihre Lebenswelt, ihre Sprache? Wie hole ich Junge, Mittelalte, Alte, Männer, Frauen, Kinder… ab und erreiche sie? Und nicht erst seit der Pandemie kommt die Frage nach den Kanälen auf: Digitale Angebote sind vielerorts selbstverständlich geworden, manche halten einen Gottesdienst über Zoom oder als Livestream sogar für einen legitimen Ersatz oder gar eine Fortentwicklung einer Feier „live“ in der Kirche.
Diese Überlegungen sind wichtig und gut, und sie waren es schon immer: Sind doch auch Liturgie, Kirchenbau oder die Bibelübersetzung Martin Luthers – bewusst oder unbewusst -aus dem Gedanken erwachsen: Wie können die Menschen die Botschaft Christi aufnehmen und verinnerlichen? Dabei scheint es heute hauptsächlich darum zu gehen, Menschen überhaupt erst einmal zu sammeln und ihnen ein „gutes Gefühl“ von Kirche zu geben, bevor dann – hoffentlich – die Botschaft ins Spiel kommt.
Also zurück zur Frage des Propheten: Was sage ich den Menschen? Den Menschen in der Wüste? Geistlich, ethisch, politisch auf der Suche, dürstend nach Sinn, gelingendem Leben, Hoffnung – auch wenn diese Sehnsucht oft verschüttet ist oder überspielt wird. Oder wenn den Menschen die Worte fehlen oder der Mut, ihre Bedürfnisse auszusprechen.
Der heutige Johannistag legt zwei Botschaften nahe. Zwei Botschaften, die sich ergänzen. Zwei Botschaften, die aber wahrlich nicht leicht zu vermitteln sind.
Zum Einen: Die Botschaft des unbekannten Propheten der Exilszeit: „Tröstet, tröstet mein Volk! Redet mit Jerusalem freundlich!“
Trost als Botschaft für Menschen, die Halt, Richtung und Hoffnung verloren haben. Der Trost, dass Gott sie sieht, mit ihnen diesen Weg geht – mehr noch: Vorangeht und die Macht hat, alles zu verändern, in die Wüste kommt und Leben in sie bringt.
Aufgabe des Trösters ist es dann, diesem Gott den Weg freizumachen zu den Menschen, die trostlos sind angesichts dieser Welt, ihres eigenen Schicksals oder ihrer Ängste. Trostlos auch angesichts von Schuld und Scham, die auf ihnen lasten – oft zu Unrecht, manchmal zu Recht. Die sich ein anderes Leben gar nicht vorstellen können oder sich in ihrer halbwegs akzeptablen Welt irgendwie eingerichtet haben.
Es ist eine Erfahrung, die ich besonders seit meinem Dienstantritt im Krankenhaus nochmals neu kennen lerne: Wie trostbedürftig viele Menschen sind – und wie herausfordernd es ist, glaubhaft tröstlich mit ihnen zu reden. Aber auch wie sehr es Menschen berührt, Gottes Mit-Sein im Gespräch, Gebet und Segen zu erfahren.
Die zweite Botschaft ist die des Johannes: Die Rede von Buße und Umkehr, die Rede auch vom Gericht.
Dahinter steht die Einsicht, dass wir uns in die eine oder andere Wüste selbst manövriert haben. Den falschen Weg gegangen oder den falschen Stimmen gefolgt sind. Oder wie es im Griechischen dort heißt, wo wir das Wort „Sünde“ lesen: Das Ziel verfehlt haben. Und dass wir uns dafür verantworten müssen, vor uns selbst, vor dem Nächsten und letztendlich eben auch vor Gott. Das gehört zur Umkehr, zur Sinnesänderung eben dazu – auch wenn es weh tut. Oder: Gerade weil es weh tut.
Trost und Gericht lassen sich nicht trennen. Auch nicht scheinbar fein säuberlich auf AT und NT aufteilen.
Was sollen wir predigen?
Den Menschen und zuallererst uns selbst den Spiegel vorhalten, in dem wir erkennen, wo wir unsere Bestimmung, unsere Berufung aus den Augen verloren haben. Oft wohl auch: Diese Bestimmung überhaupt zu erkennen und wahrzunehmen.
Und den Menschen und zuallererst uns selbst zusagen: Veränderung, Heilung ist möglich, die Umkehr zum Leben in Frieden und Freiheit, einem erfüllten Leben auch in einer scheinbar trostlosen Welt oder in einem trostlosen Leben. Angst, Schuld und Scham sollen nicht die prägenden Kräfte unseres Lebens sein. Sie müssen es auch nicht.
Der unbekannte Prophet und Johannes der Täufer sprechen in starken Bildern über diese Botschaften – weil es starke Botschaften sind. Lebensverändernde und, wie uns das Beispiel des Täufers zeigt, lebensbedrohliche. Weil es ums Ganze geht. Sie gehören zusammen, sie gilt es zu verkündigen. So, dass sie verstanden werden, ihre reinigende und klärende Kraft, ihre befreiende und erneuernde Kraft. Wie wir das machen – Gott hat uns dazu begabt, auf verschiedene Weisen zu reden, begabt, auf verschiedene Weisen zu hören. Möge er uns den Mut dazu schenken, den er dem Propheten geschenkt hat und Johannes, dem Täufer!