Das Berneuchener Buch
Neuauflage

Vom Anspruch des Evangeliums auf die Kirchen der Reformation

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Einleitung Berneuchener Buch

 Seinen Namen hat das Berneuchener Buch von dem Rittergut Berneuchen / Neumark (heute: Barnówko / Polen). Dort kamen ab 1923 Männer und Frauen aus dem Umkreis der evangelisch – bündischen Jugendbewegung zusammen, die Wege zu einer Neugestaltung des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens suchten.

Von 1928 bis 1930 tagte dieser Berneuchener Kreis im Gut Pätzig (heute: Piaseczno). Aus dem wechselnden Kreis, der hier zusammenkam, gingen später der Berneuchener Dienst und die Evangelische Michaelsbruderschaft hervor.

Angesichts des Zusammenbruchs der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ordnungen nach dem Ersten Weltkrieg stellte nicht zuletzt die junge Generation die Frage, welche Bedeutung überkommene Werte noch hätten. Diese Fragen nahm der Berneuchener Kreis auf und fokussierte sie: Was ist der Auftrag der Kirche heute, welche Rolle soll sie zukünftig in der Gesellschaft einnehmen?

Eine Zusammenfassung und Weiterführung dieser Überlegungen ist das Berneuchener Buch. Über seinen Hintergrund und seine Intention schreibt Karl Bernhard Ritter, einer seiner Mitverfasser:

Es ist unmöglich, den Inhalt des Buches mit wenigen Strichen nachzuziehen. In seinem ersten Teil wird die Not bekannt, die uns die Fragwürdigkeit der heutigen evangelischen Kirchen bereitet, die Not, die wir gerade darum so bitter empfanden, weil wir an den besonderen Beruf und die besondere Verheißung dieser Kirchen glaubten.

Unsere Kritik stammte aus einer leidenschaftlichen Liebe und entzündete sich an der Hoffnung, dass für die Kirchen der Reformation die Zeit gekommen sei, wo sie „mehr als je Kirchen des Evangeliums werden müssen und werden dürfen.“ (Dieses und alle folgenden kursiven Zitate aus Quatember, Jahrgang 1957, S. 93-95)

Der Weg zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft kann nicht die einfache Restauration des Vergangenen sein, denn „der Strom der Geschichte kennt kein Zurück, sondern weist unerbittlich vorwärts – auf das letzte Ziel.”

Von dieser Erkenntnis ist der zweite Teil des Buches bestimmt; er will zeigen, wie die gegenwärtige Kirche in Leiturgia (Dienst vor Gott), Diakonia (Dienst an der Welt) und Martyria (Zeugnis vor der Welt) ihren Auftrag verwirklichen kann.

Eine wesentliche Voraussetzung hierfür ist die Wiedergewinnung eines gleichnishaften Denkens: Alles, was sich in Kirche und Gesellschaft vollzieht, soll Gleichnis sein für Gottes Willen und Handeln.

Im letzten Teil des Buches wird das in Aussagen zur Heiligung des geschlechtlichen Lebens, des Volkes und der Arbeit entfaltet. Heiligung meint allerdings nicht eine Sakralisierung natürlicher Gegebenheiten und Ordnungen: „Die Welt ist nicht heilig; aber sie wird geheiligt, wo der Glaube sie unter das Wort Gottes stellt. Nur wo das Gericht, das über jedes irdische Werk ergeht, angenommen und dieses Werk unter die Verheißung gestellt wird, nur da wird das irdische Werk geheiligt.” Diese Heiligung ist im tiefsten Sinn not-wendig, weil „Gott in der leibhaftigen Wirklichkeit, in diesem Leben, durch das wir mit allen Kreaturen verbunden sind, geehrt sein will.“

Ausdrucksstil und Sprache des Berneuchener Buchs sind von seiner Zeit geprägt: Es hat die Situation der deutschsprachigen evangelischen Landeskirchen der 1920er Jahre im Blick. In der Verwendung von Begriffen wie Rasse, Volksgemeinschaft, bluthafte Zusammenhänge u. ä., die später von der NS-Ideologie okkupiert wurden, zeigt sich die leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den geistigen und politischen Kräften und Strömungen der Zwischenkriegszeit.

Für uns, die Evangelische Michaelsbruderschaft, ist das Berneuchener Buch mehr als ein historisches Dokument; es erinnert uns, dass wir in unserer Zeit berufen sind zu einem ebensolchen leidenschaftlichen Ringen um eine Gestaltung des Lebens von Kirche und Gesellschaft, die den Herausforderungen heute gerecht wird. Zugleich zeigt es: Das kann nur gelingen in steter Rückfrage nach deren Grundlegung in der biblischen Überlieferung von Gott.

Der Weg, den dieses Buch mehr skizziert als darstellt, hat uns seither immer tiefer hineingeführt in die Wirklichkeit der weltweiten Christenheit, und sein Studium schärft den Blick für die Nöte unserer Zeit. In ökumenischer Gemeinschaft lassen wir uns daran erinnern, dass in der Trias von Diakonia, Leiturgia und Martyria das Geheimnis der Kirche abgebildet ist, deren Dienst an der Welt in der Liebe des dreieinigen Gottes wurzelt.

In der Woche des Sonntags Okuli 2021
Ältester der Evangelischen Michaelsbruderschaft

 

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